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Auf TwitterAngebliche Kritiker stärken Drosten den Rücken

«Grob falsch» sei die Studie des Virologen über die von Kindern ausgehende Ansteckungsgefahr, hieß es gestern. Jetzt melden sich die zitierten Kritiker zu Wort.

«Fragwürdige Methoden» hätten zu falschen Ergebnissen geführt. So berichtet Bild.de über eine Ende April publizierten Untersuchung von Forschern der Berliner Charité. Dabei handelt es sich um einen sogenannten Preprint – um eine Studie, die noch nicht von Fachkollegen begutachtet wurde (siehe Box). Darin waren der Virologe Christian Drosten und seinen Kollegen zu dem Ergebnis gekommen, Kinder könnten genauso infektiös wie Erwachsene sein.

Die deutsche Zeitung führt in dem Artikel mehrere Wissenschaftler an, die sich kritisch gegenüber der Arbeit Drostens äußern. Die schienen allerdings – zumindest teilweise – nichts von dem Artikel zu wissen und distanzieren sich nun via Twitter von der Berichterstattung – und erklären sich.

Die Tweets im Überblick

Dominik Liebl, Statistikprofessor an der Universität Bonn, wird von Bild.de wie folgt zitiert: «Die mittlere Viruslast der Altersgruppe Kindergarten ist um 86 Prozent niedriger als die mittlere Viruslast der Altersgruppe der Älteren.»

Christoph Rothe, Statistik- und Ökonomieprofessor an der Universität Mannheim, soll laut der deutschen Zeitung die Arbeit Drostens mit diesen Worten kritisiert haben: «Dass derart große Unterschiede von den Autoren als ‹nicht signifikant› eingestuft werden, liegt daran, dass die verwendeten statistischen Methoden sehr schwach sind.» Doch auch er hatte offenbar keinen Kontakt mit dem Medium.

Auch der kritisierte Christian Drosten meldet sich auf Twitter zu Wort – einmal vor dem Erscheinen des Artikels, zweimal danach.

Jörg Stoye, Ökonom an der Cornell-Universität im US-Bundesstaat New York, soll laut Bild.de ein weiterer Kritiker von Drostens Arbeit sein, was er selbst jedoch anders sieht:

«Ich betone, dass ich keine Absicht unterstelle.»

Laut Bild.de wirft Stoye dem Berliner Virologen vor, dass die Ergebnisse «von Entscheidungen der Forscher getrieben sein.» Schließlich stimme die Stoßrichtung «mit den öffentlichen Standpunkten (...) der jeweiligen Hauptautoren überein.»

Gegenüber Spiegel.de widerspricht der Wirtschaftsprofessor dem jedoch vehement: Die Aussage sei aus dem Zusammenhang gerissen worden. Tatsächlich stamme sie aus einem wissenschaftlichen Fachaussatz, der mit den Worten ende: «Ich betone, dass ich den Autoren keine Absicht unterstelle.»

Fehde geht weiter

Er habe den Text auf der Plattform Arxiv.org veröffentlicht, so Stoye. «Normalerweise schaut dort kein Nichtwissenschaftler hin. Hätte ich gewusst, dass ‹Bild› diesen Satz liest, hätte ich ihn bestimmt nicht geschrieben. Wer die Studie ganz rezipiert, kann mich aber kaum missverstehen.»

Diese Aussage greift wiederum Bild-Chefredakteur Julian Reichelt auf. Er twittert:

Es scheint, die-Fehde ist noch lange nicht zu Ende, zumal mittlerweile nicht nur die Beteiligten mitmischen. Auch Leonhard Held, Professor am Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich, wird als Kritiker angeführt. Auch er wurde nicht vom Redakteur kontaktiert, und stellt klar: «Meine Äußerungen stammen aus einer Stellungnahme zur Studie, die online zugänglich ist.»

Anders als vom Vorgehen von Bild.de nimmt er von dieser auch keinen Abstand: «Drostens Studie ist nicht hieb- und stichfest.» So hätte dessen Team etwa «eine Art der statistischen Analyse gewählt, die nicht zur Fragestellung passt». Bei seiner Auswertung der Daten habe er eine gewisse Evidenz gefunden, «dass die Viruslast bei Kindern niedriger ist».

Ein «fundamental» anderes Ergebnis, wie der Redakteur «überspitzt» schreibe, sei das aber nicht. «Meine Kritik war mäßiger Natur.»

Das wirkliche Problem an der Arbeit Drostens sei, dass sie von den Medien als finale Studie aufgefasst und breit gestreut worden sei sowie «möglicherweise zur Entscheidungsfindung hinzugezogen wurde», so Held. «Dafür sind die Ergebnisse nicht eindeutig genug.» Bei einer Preprint-Studie sei das aber selten der Fall.

Allerdings würde die von den Charité-Forschern angewandte Statistik inzwischen auch von anderen Experten wie dem Statistiker Sir David Spiegelhalter kritisiert, der sogar empfiehlt, die Arbeit zurückzuziehen.

(L'essentiel/Fee Anabelle Riebeling)

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