Luxemburg Leaks – Auch Juncker wusste schon früher Bescheid

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Luxemburg LeaksAuch Juncker wusste schon früher Bescheid

LUXEMBURG/WASHINGTON - Die Luxleaks-Journalisten erklären, dass auch EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker im Vorfeld der Enthüllungen informiert wurde.

Als wäre Luxleaks an sich nicht schon schlimm genug für das Großherzogtum. Luxemburgs Regierung hat seit den Enthüllungen der Journalistengruppe ICIJ zur Steuerpraxis im Land alle Hände voll zu tun. Es geht darum, die Glaubwürdigkeit zu wahren und vor allem die weltweit laut werdenden Vorwürfe so gut es geht zu entkräften. Die Investigativjournalisten haben aufgedeckt, dass Luxemburg etlichen internationalen Unternehmen immense Steuervorteile gewährt.

Doch nicht nur die Glaubwürdigkeit des Luxemburger Finanzsystems steht auf den Prüfstand - auch die seiner Politiker. So hat Luxemburgs Finanzminister Pierre Gramegna kürzlich unfreiwillig für Wirbel gesorgt, weil Dokumente aufgetaucht waren, die belegen sollen, dass Gramegna viel früher als von ihm selbst angegeben von den geplanten Enthüllungen gewusst hatte.

Brief an Jean-Claude Juncker

Ebenfalls in der Kritik steht der neue EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, der als damaliger Premierminister Luxemburgs die Steuermaßnahmen zu verantworten hat. Nach RTL-Informationen wusste auch Juncker frühzeitig von den Recherchen und der bevorstehenden Veröffentlichung.

Der Norddeutsche Rundfunk (NDR), der mit seinen Journalisten Teil des investigativen Konsortiums gewesen war, habe nach eigener Angabe bereits im September mit offenen Karten gespielt und bei Juncker um Antworten zu den Vorwürfen gebeten. Interviewanfragen seien damals abgeblockt worden. Daraufhin seien die Fragen gesammelt und am 10. Oktober, also fast vier Wochen vor Veröffentlichung, per Mail an Juncker geschickt (siehe unten) worden. Darin sind Details zum Inhalt der Recherchen und der Vorwürfe gegen Luxemburg nachlesbar.

Was wusste Frieden?

Nach einer «sehr allgemeinen Antwort» von Junckers Seite habe die ICIJ-Vizedirektorin Marina Walker Guevara eine erneute Interviewanfrage an Juncker gestellt. Darin ist zu lesen, dass neben Juncker auch Finanzminister Pierre Gramegna im Vorfeld informiert wurde. Guevara schließt mit den Worten: «Sowohl Herr Juncker als auch Herr Gramegna waren bereits Wochen im Voraus umfassend über Recherchen und Ergebnisse des ICIJ informiert. Wir gaben ihnen jede Gelegenheit, darauf zu reagieren.»

Auch der ehemalige Finanzminister Luc Frieden (CSV), mittlerweile bei der Deutschen Bank in London, dürfte über die gestohlenen Dokumente, die als Basis für Luxleaks dienten, Bescheid gewusst haben, so RTL. Die Akten waren der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers im Jahr 2010 abhanden gekommen und zwei Jahre später Gegenstand von TV-Berichten bei France 2 und der britischen BBC. Sowohl PwC als auch Frieden betonten damals, dass die Steuersparmodelle stets der nationalen und internationalen Gesetzgebung entsprochen hätten. Der Vorwurf, Luxemburg sei ein «Steuerparadies», sei eine Beleidigung, sagte Frieden damals.

Die schriftliche Anfrage des ICIJ an Jean-Claude Juncker vom 10. Oktober (veröffentlicht von RTL):

[...] Nach der Interviewabsage von Jean-Claude Juncker möchten wir unsere Fragen an den EU-Kommissionspräsidenten nun schriftlich vorlegen. Wir fragen hier neuerlich stellvertretend für das ICIJ und unsere zahlreichen Kooperationspartner. Wir bitten freundlichst um Beantwortung der Fragen bis zum kommenden Mittwoch, 15. Oktober, 16 Uhr.

Vorweg: Uns liegen interne Dokumente vor über besondere Steuergestaltungen und Steueroptimierungen multinationaler Unternehmen in Luxemburg. In zahlreichen Fällen entstehen dabei anderen europäischen Ländern Steuerschäden in Millionenhöhe. Desweiteren zeigen die Dokumente und Rulings, dass die Luxemburger Finanzbehörden komplexeste Steuersparmodelle nicht nur abgesegnet hat, sondern zum Teil offenbar auch beratend tätig war. Nun zu unseren Fragen:

1. Die EU-Kommission prüft derzeit verschiedene Verdachtsfälle unlauterer Steuervorteile für Konzernmultis, darunter auch zwei Fälle aus Luxemburg. Die Dokumente stammen aus einer Zeit, in der Sie Luxemburger Ministerpräsident waren. Sehen Sie sich dafür in der Verantwortung?

2. Luxemburg hat sich zeitweise wenig kooperativ gezeigt, der Kommission Informationen auszuhändigen. Wie bewerten Sie die mangelnde Transparenz Luxemburgs? Werden Sie als Kommissionspräsident auf die Regierung in Luxemburg einwirken, alle notwendigen Dokumente zur Verfügung zu stellen?

3. Die uns vorliegenden Dokumente sind prinzipiell ähnlich gelagert, weil sie Steuervorteile am Rande der Legalität zu Lasten anderer Staaten aufzeigen und den Kooperationswillen der Luxemburger Finanzbehörde dokumentieren. Wie bewerten Sie dieses System heute?

4. Was war der Grund, in Luxemburg ein solches Steuersystem zu entwickeln, zu Lasten anderer Staaten und zugunsten von Firmen, die in Luxemburg teilweise nur mit Scheindependencen präsent sind?

5. Würden Sie der Einschätzung zustimmen, dass alles, was in dem von Ihnen lange Zeit repräsentierten Luxemburg an Steuervermeidung und Steuerumgehung realisiert wurde,
a. legal und
b. auch moralisch legitim war?

6. Waren Sie in das Tun der Finanzabteilung unter Marius Kohl (Bureau d’imposition Sociétés VI) involviert? Wussten Sie, wie massiv und wie konkret die Zusammenarbeit zwischen ihm und den anfragenden Firmen war?

7. Die Summen, die Luxemburg durch seine Steuerschlupflöcher eingenommen hat, stehen in keinem Verhältnis zu den Summen, die den geschädigten Ländern dadurch entgangen sind. Ist das, was Sie in Luxemburg stets als Steuerwettbewerb bezeichnet haben, nicht vielmehr ein Akt der Illoyalität gegenüber Partnernländern der EU?

8. Sie haben die Luxemburger Fiskal-Privilegien als langjähriger Finanzminister und Premierminister Luxemburgs mitgestaltet und stets verteidigt. Können Sie die kritischen Fragen nachvollziehen, ob der frühere luxemburgische Ministerpräsident der richtige Mann an der Spitze des so massiv geschädigten Europas ist?

9. Auf einer Rangliste Ihrer wichtigsten politischen Felder der kommenden Jahre, welchen Platz würde die Steuerpolitik da einnehmen? Und: Welchen Stellenwert hat dabei das Thema Steuergerechtigkeit?

10. Welches sind die wichtigsten Ziele Ihrer künftigen Steuerpolitik? Es gibt immer noch viele Steuerschlupflöcher auf EU-Ebene – speziell in Luxemburg, sowie in den Niederlanden und Irland. Ist es Ihr Ziel, diese zu schließen? Was wollen sie konkret tun, um gegen Steuerungerechtigkeit vorzugehen?

11. In der Wirtschaftswoche vom 6. Oktober 2014 wird George Bock, Partner beim Consultingunternehmen KPMG in Luxembur, zitiert mit den Worten, „Juncker wird den Schneid haben zu sagen, dass Steuerwettbewerb in Europa gewünscht ist“. Können sich die Luxemburger in diesem Punkt auf Sie verlassen?

12. Ein deutscher Politiker hat Sie im vertraulichen Gespräch bezeichnet als „charmantesten Schutzpatron der Steuerhinterzieher“. Empfinden Sie das als Kompliment oder als Schimpfwort und trifft es das, was Sie getan und verantwortet haben?

(L'essentiel)

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