Soziale Netze – Auf Twitter stirbt es sich schneller

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Soziale NetzeAuf Twitter stirbt es sich schneller

Twitter genießt den Ruf, das schnellste Medium der Welt zu sein. Viele halten es für eine Konkurrenz zu traditionellen Nachrichtenagenturen - aber was, wenn Twitter lügt?

Twitter genießt den Ruf, das schnellste Medium der Welt zu sein. Kaum eine Online-News-Seite, kaum eine Nachrichtenagentur kann mit dem rasanten Tempo des Kurznachrichten-Dienstes mithalten. Wenngleich sich dies im Kontext des arabischen Frühlings oder der Kommando-Aktion gegen Osama Bin Laden als sehr interessant erweisen kann, so hat die Geschwindigkeit auch ihre Gefahren: auf Twitter kann einen schnell das Zeitliche segnen – wenn auch nur virtuell.

Die nur bedingt lustige Art, zu scherzen, ist mindestens so alt wie Twitter selbst: Seit dem Start der Microblogging-Plattform 2006 wird täglich mindestens ein Promi für tot erklärt – von Präsident Obama bis Justin Bieber waren fast alle schon dran.

35 000 geklaute Accounts

In letzter Zeit häuften sich die Falschmeldungen wieder, was mit dem Leak Anfang Mai von 35 000 Twitter-Konten samt Passwörtern auf der Dokumente-Sharing-Website Pastebin.com zusammenhängen könnte. Denn auch wenn gefälschte Accounts völlig ausreichend sind, um Todesnachrichten zu verbreiten, da Twitter die Identität der Nutzer nicht überprüft, so garantieren vermeintlich vertrauenswürdige Accounts bekannter User oder Organisationen natürlich eine besseren Verbreitungsgrad.

Messi und Gorbatschow

Jüngstes Opfer war Star-Fußballer Lionel Messi, dessen angeblicher Tod durch Herzstillstand beim Training am vergangenen Sonntag am Montag unter Barça-Fans für blankes Entsetzen sorgte. Kurze Zeit später die Entwarnung: der 24-Jährige sei noch am Leben, berichteten reguläre Online-Medien, die betreffende Meldung über den Twitter-Account von «Fox Sports» sei wohl auf eine Manipulation des Twitter-Accounts zurückzuführen.

Die Woche davor war Michail Gorbatschow kurzzeitig für tot erklärt worden. Journalisten in aller Welt, die auf Twitter gern ihren hohen Vernetzungsgrad und ihre Reaktionsschnelligkeit zur Schau stellen, fielen auf den Hoax herein und leiteten die Nachricht weiter. Die Tatsache, dass die ursprüngliche Meldung über den angeblichen Account des schwedischen Premiers Frederik Reinfeld getwittert worden war (seltsamerweise auf Spanisch), hatte offenbar selbst gestandene Presseleute wie den Times-Kolumnisten David Aaronovitch dazu verleitet, sie zu übernehmen.

Wer schneller schießt, trifft eher daneben

Eine Missachtung grundlegendster Prinzipien des Journalismus, der mittlerweile Kritiker auf den Plan gerufen hat. Einer der bekanntesten ist Tommaso de Benedetti. Der italienische Lehrer hat bereits Papst Benedikt XVI, Fidel Castro und Pedro Almodovar auf dem Gewissen. Zudem gab er sich schon mal als Hamid Karzai oder Baschar Al-Assad aus. Benedetti sagte in einem Interview dem «Guardian», er habe seine Falschmeldungen bewusst abgeschickt, um auf die mangelnde journalistische Qualität heutiger Medien anzuprangern: «Soziale Netze sind die unsicherste Nachrichtenquelle der Welt, aber die Medien glauben an sie, weil sie darum wetteifern, wer der Schnellste ist».

(Michel Thiel/L'essentiel Online)

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