Bommeleeër-Affäre – Bomben, Politik und Verschwörungen

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Bommeleeër-AffäreBomben, Politik und Verschwörungen

LUXEMBURG – Der «Bommeleeër»- Prozess findet statt. Ob das mysteriöseste Kapitel der Justizgeschichte damit abgeschlossen wird, scheint jedoch zweifelhaft.

Die beiden Angeklagten Jos Wilmes (3.v.l.) und Marc Scheer (2.v.r.) waren in den 80er Jahren Mitglied der Gendarmerie-Elitetruppe «Brigade Mobile». Ob sie jemals für schuldig befunden werden, die Attentate begangen zu haben, scheint mehr als fraglich.

Die beiden Angeklagten Jos Wilmes (3.v.l.) und Marc Scheer (2.v.r.) waren in den 80er Jahren Mitglied der Gendarmerie-Elitetruppe «Brigade Mobile». Ob sie jemals für schuldig befunden werden, die Attentate begangen zu haben, scheint mehr als fraglich.

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Die Bommeleeër-Affäre hat sich ins nationale Unterbewusstsein eingebrannt wie keine andere Affäre in der Geschichte des Landes. Kein Wunder, denn die Geschichte von den Bombenanschlägen ist aus dem Stoff gemacht, über den man einen Thriller schreiben könnte.

Die Fakten sind bekannt: Unbekannte Attentäter verüben zwischen 1984 und 1986 24 Sprengstoffattentate auf Strommasten, öffentliche und private Infrastrukturen und Privatwohnungen. Bis auf einen Verletzen durch eine heimtückische, als Taschenlampe getarnte Sprengfalle, dem Unfalltot eines Soldaten und vier leichtverletzten Autofahrern, die in einen umgelegten Strommasten hineinfuhren, bleibt es bei materiellen Schäden.

Die Attentäter kommunizieren über Briefe in holprigem Englisch mit den Ordnungskräften, verlangen Antworten per Zeitungsinserat und Codewort. Lösegeldforderungen erweisen sich als Ablenkungsmanöver, die Attentäter spielen Katz und Maus mit Ermittlern und Geheimdienst. Alles wirkt, als wollten sie klischeehaft Verschwörer in einem schlechten Agentenfilm nachahmen. Am 25. März 1986 hört der Spuk ebenso jäh auf, wie er begonnen hatte.

Verschwörungstheorien: Prinz Jean, Stay Behind oder Ben Geiben

Die Schuldigen werden nie gefunden, die Ermittlungen treten jahrzehntelang auf der Stelle. Derweil brodelt es in der Gerüchteküche, die von einzelnen Journalisten mit investigativem Ehrgeiz befeuert wird. Rund ein Dutzend mehr oder weniger fantasievolle Verschwörungstheorien ranken sich bald um die Affäre. Der oder die angeblichen «Bommeleeër» werden in verschiedenen Kreisen vermutet: Linksextreme, Rechtsradikale, militante Landwirte, Umweltaktivisten, Studenten, Polizisten und Geheimdienstleute geraten abwechselnd ins Visier.

Als Lieblings-Verschwörungstheorie der Luxemburger erweist sich bald die These, Prinz Jean, der jüngere Bruder von Großherzog Henri sei der Bombenleger. Ein Zeuge behauptete in einem Fernsehinterview, er habe den Prinzen vor einem Attentat am Flughafen Findel erkannt. Die Tatsache, dass Jean von Luxemburg genau nach den Anschlägen im September 1986 auf sein Thronfolgerecht verzichtet und als Privatbanker unter dem bürgerlichen Namen Jean Nassau ins Ausland zieht, lässt ihn in den Augen der Öffentlichkeit hoch verdächtig erscheinen.

An zweiter Stelle kommt die Staatsterrorismus-Theorie: Die Attentat seien von antikommunistischen Untergrundkämpfern des geheimen «Stay Behind»-Netzwerks in Zusammenarbeit mit ausländischen Geheimdiensten und Kommandoeinheiten verübt worden, um die politische Lage zu destabilisieren, Angst in der Bevölkerung zu schüren und die Regierung zu einem verschärften Vorgehen gegen Linke und Anarchisten zu bewegen. Genau wie die Prinzen-Spur erweist sich die These als Sackgasse, eröffnet aber immerhin Einblicke hinter die Kulissen des Großherzogtums auf dem Höhepunkt des kalten Kriegs.

Immerhin sieht sich Staatsminister Santer gezwungen, die tatsächliche Existenz einer geheimen Truppe zuzugeben, die für den Fall einer Sowjetischen Invasion hinter den Linien Widerstand leisten sollte.

Obschon er ebenfalls bestätigen muss, dass es schwarze Listen von potenziellen sowjetischen Kollaborateuren gab, die im Kriegsfall neutralisiert werden sollten, versichert Santer, dass die luxemburgischen Schattenkämpfer bis zur Auflösung ihrer Truppe völlig verfassungskonform gehandelt hätten.

Ein weiterer Lieblingsverdächtiger war der ehemalige Elite-Gendarm Ben Geiben. Der frühere Kommandant und Architekt der Eliteeinheit «Brigade Mobile» sei aufgrund seiner Bisexualität aus der Gendarmerie geschasst worden und habe sich durch die Attentatsserie revanchieren wollen. Geiben, heute Sicherheitschef der Carrefour-Supermarktkette, bekommt ebenfalls von den Ermittlern eine weiße Weste bescheinigt, muss aber gegen den Verleger eines Boulevard-Blattes eine Verleumdungsklage führen.

Kollateralschäden an den Nebenkriegsschauplätzen

Während die Bommeleeër-Affäre zur «Urban Legend» mutiert, dümpeln die Ermittlungen gemächlich vor sich hin. Erst unter einem neuen Staatsanwalt und einer anderen Untersuchungsrichterin bekommen sie eine neue Dynamik. Die Affäre ist zum Politikum geworden, nachdem die RTL-Journalisten Marc Thoma und Nico Graf begonnen haben, die Früchte ihres investigativen Schaffens ab 2007 als TV-Reality-Show zu inszenieren.

Staatsminister Juncker sieht sich genötigt, den anonymen Zeugen, der Jean von Luxemburg am Flughafen gesehen haben will, unter vier Augen zu treffen. Der Exil-Prinz liefert ein Alibi, er nahm am betreffenden Tag an einer Jagdgesellschaft in Frankreich teil.

Mario Hirsch, Chefredakteur der Wochenzeitung «Lëtzebuerger Land» wird zum ersten Opfer einer Serie von Kollateralschäden. Nachdem Land-Journalist Romain Hilgert es gewagt hatte, in einer durchaus provokativen Glosse mit dem Titel «Der schwarze Prinz» den Namen des Prinzen zu nennen, distanziert sich Hirsch in vorauseilendem Gehorsam durch einen Leitartikel von seiner eigenen Redaktion, stellt sich ins Abseits und gibt wenig später seinen Posten ab.

Zwei Jahre später, also 2007 kommt der Paukenschlag: Staatsanwalt Robert Biever ruft an einem grauen Sonntagmorgen im November überraschend zu einer Pressekonferenz. Er kündigt an, dass die Staatsanwaltschaft beabsichtigt, gegen die zwei ehemaligen Gendarmen und „Brigade Mobile“-Mitglieder Marc Scheer und Jos Wilmes Anklage zu erheben – die beiden gelten fortan als mutmaßliche Urheber der Anschläge.

Die Serie der Kollateralschäden geht weiter. Pierre Reuland und Guy Stebens, Generaldirektor und Generalsekretär der «Police Grand-Ducale», verlieren ihre Posten, nachdem sie die beiden Angeklagten Ex-Gendarmen öffentlich in Schutz genommen und das Vorgehen der Staatsanwaltschaft hinterfragt hatten.

Marc Fischbach behält seinen Posten als «Médiateur» zwar, trägt aber einen Image-Schaden davon, nachdem er in einer internen Gesprächsrunde mit Journalisten des «Luxemburger Wort» der Staatsanwaltschaft eine Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze unterstellt und die «Vorverurteilung» der beiden Ex-Gendarmen als Skandal sieht. Die Aussagen des Ombudsmanns landen während wenigen Stunden aufgrund eines Missverständnisses auf Wort Online, bevor sie plötzlich wieder verschwinden. Fischbach bestreitet seine Aussagen gegenüber der restlichen Presse.

Pikant daran ist, dass Fischbach zur Zeit der Anschläge als «Force Publique»-Minister verantwortlich für Polizei und Gendarmerie war – eine ideale Position also, um einen angeblichen Skandal zu ersticken.

Was bleibt am Ende?

Die mutmaßlichen Attentäter im Bommeleeër-Skandal kommen also vor Gericht, nachdem das Kassationsgericht am Mittwoch grünes Licht gab. Ob es zu einem Schuldspruch kommt, erscheint bereits jetzt als äußerst fragwürdig. Die Verteidiger der beiden Beschuldigten werden voraussichtlich auf Freispruch aus Mangel an Beweisen plädieren. Die Chancen stehen gut, dass die Anklageschrift, die sich auf mittlerweile widerrufene Aussagen der Beschuldigten und wenig belastbare Indizien stützt, wie ein gesprengter Strommast in sich zusammenstürzt.

Falls Wilmes und Scheer jedoch freigesprochen werden, was bleibt dann am Ende? Möglicherweise nur die Erkenntnis, dass der oder die wahren «Bommeleeër» ihr Geheimnis mittlerweile mit ins Grab genommen haben. Wie etwa F., ein ehemalige Waffenmeister der Polizei, der sich 1994 erschoss, nachdem er vor Zeugen gesagt hatte, er sei für die Anschläge verantwortlich. Die Polizei fand in der Wohnung von F. ein umfangreiches Waffenarsenal, sowie eine große Menge an militärischem Sprengstoff. Aus Geheimdienstkreisen heißt es, F. sei Mitglied des «Stay Behind»-Netzes gewesen. Auch nur eine Verschwörungstheorie?

(Michel Thiel / L'essentiel Online)

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