Prozessbeginn am Montag – Breiviks Anwälte machen auf TV-Helden

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Prozessbeginn am MontagBreiviks Anwälte machen auf TV-Helden

Sie vertreten den Massenmörder Anders Breivik. Die Bilder der Verteidiger erinnern an einem Shooting für eine neue Anwaltsserie.

Seriös und clever sehen die drei Männer und die Frau auf der Couch aus. In ihren Hemden und Anzügen. Das Licht stimmt, einmal vor hellem, ein andermal vor dunklem Hintergrund. Beides versprüht Dramatik. Und man fragt sich sogleich: Ist dies das Plakat für eine neue Anwaltsserie? Oder doch eine neue US-Krimireihe? Alles falsch. Das Bild, das so sehr an TV-Serien erinnert, zeigt die Verteidiger des 77-fachen Massenmörders Anders Behring Breivik.

m 22. Juli 2011 hat Breivik in Norwegen 77 Menschen getötet. Die meisten davon waren Kinder und Jugendliche, die sich zu diesem Zeitpunkt auf der Insel Utoya aufgehalten hatten. Am kommenden Montag muss sich Breivik wegen Terrorismus und vorsätzlichen Mordes vor Gericht verantworten. Just an dem Tag als bekannt wurde, dass Breivik durch ein zweites Gutachten für zurechnungsfähig befunden wurde, landeten die Bilder der Kanzlei, die Breivik verteidigt, in der Öffentlichkeit. Seither spekulieren diverse Medien und Blogs darüber, was die Anwälte mit der Inszenierung dieser Bilder denn hatten aussagen wollen.

Wie bei «Ally McBeal» und «Mad Men»

Die Darstellung der Fotos wirkt sorgfältig gestaltet. Bei einem Bild sitzt der Chef der Kanzlei, Geir Lippestad am Rand des Sofas, Odd Ivar Groen auf der anderen Seite. Die einzige Frau, Vibeke Hein Baera thront in der Mitte auf die Sofa-Lehne drapiert. Der Mann im Hintergrund trägt Krawatte und macht einen ganz besonders ernsten Eindruck.

Bei einem anderen Foto posieren die vier vor einer dunklen Wand. Die «Welt» erkennt in dieser Version eine Anlehnung an das Plakat zum Kinofilm «Die üblichen Verdächtigen», wo coole Gangster breitbeinig posieren. Die Bilder sähen natürlich aus wie jene aus Fernsehserien und Filmen. Tatsächlich passen die Figuren auf den Bildern zu Fernsehserien wie bei «Ally McBeal», den Staatsanwälten aus «Law & Order» oder den Werbeexperten aus «Mad Men».

Kanzlei bestreitet Absicht

Auch «Daily Mail» spricht von einer bizarren Bilder-Show. Die vier Anwälte sähen aus, wie auf einem Plakat für ein neues TV-Drama. Und auch im «Guardian» werden die Bilder thematisiert. Die gut frisierten vier Norweger sähen aus wie die Stars im neuesten Kriminaldrama Norwegens. Ob dies Absicht gewesen sei? Die Kanzlei verneint dies. «Es ist kein Bild, das wir bevollmächtigt haben. Wir haben ungefähr 50 Interviews gemacht und es war gleich wie bei irgendeinem anderen Interview und Foto-Shooting. Unser Fokus liegt auf dem Fall. Nicht darauf, wie Fotografen uns ablichten», hiess es.

Anwältin Hen Baera gibt sich ob der plötzlichen Aufregung irritiert: «Sehr merkwürdig ist, dass wir an diesem ernsten Fall arbeiten und plötzlich liegt der Fokus auf diesem Foto von uns», sagte sie. Von Inszenierung will sie nichts wissen. Baera besteht darauf, dass das Quartet nur vom Büro in Richtung Gericht gelaufen war. Sie seien auf dem Weg zum Gericht gewesen und hätten ein Interview im Hauptquartier von Norwegens grösster Zeitung VG zugesagt. «Es dauerte 15 Minuten – mehr Zeit hatten wir nicht. Wir dachten nicht daran, wie der Fotograf das Foto macht. Er sagte uns nur, dass wir aufs Sofa sitzen sollen.»

Vermutungen, die Anwälte hätten unangebrachte Publizität gesucht, weist sie von sich. «Viele Menschen haben Fragen zu dem Fall. Deshalb ist es wichtig, darüber zu sprechen, warum Herr Breivik getan hat, was er getan hat.»

Ein Sozialdemokrat verteidigt den Rechtsradikalen

Breivik hatte stets betont, dass er keinen rechtlichen Vertreter wolle, der seine Taten billige. Aber er soll «nationalistisch orientiert» und bereit sein, seine ideologischen Standpunkte zu verteidigen. Doch auch wenn Lippestad es als fundamentales demokratisches Prinzip ansieht, dass ein Angeklagter Anspruch auf einen Verteidiger hat, einen Zugang zu Breiviks Kopf scheine er nicht gefunden zu haben, schreibt die «Frankfurter Rundschau». Das erkenne man in Interviews, wenn Lippestad nach den Motiven des Attentäters gefragt werde und er Sätze sage, die bereits wenige Stunden nach der Tat so verbreitet wurden. «In seinem (Breiviks) Kopf waren die Taten grausam, aber notwendig.»

Politisch ist Lippestad nicht auf Breiviks Linie. Im Gegenteil. Er ist Mitglied der sozialdemokratischen Arbeiterpartei, die Breivik bei seinen Anschlägen im Visier gehabt hatte. Doch es ist nicht das erste Mal, dass Lippestad die Verteidigung von Menschen übernimmt, die seiner Gesinnung zuwider sein dürften. Vor etwa zehn Jahren hatte er einen Neonazi verteidigt, der einen 15-jährigen wegen dessen dunkler Hautfarbe erstochen hatte. Lippestad plädierte damals auf Freispruch. Möglicherweise hat sich Anders Breivik deshalb diesen Juristen ausgesucht.

Bei dem Fall aus dem Jahr 2002 hatte Lippestad keinen Erfolg. Sein Mandant wurde zu 15 Jahren Haft verurteilt. Ob er bei Breivik erfolgreicher ist, wird sich frühestens Mitte Juli zeigen. Mit einem Urteil wird nicht früher gerechnet. Breivik droht die in Norwegen geltende Höchststrafe von 21 Jahren – die allerdings ständig verlängert werden kann. Am Dienstag wurde Breivik in einem neuen Gutachten als zurechnungsfähig erklärt. Der Angeklagte zeigte sich «zufrieden» mit dem neuen Gutachten über seinen Geisteszustand. Breivik hatte stets bestritten, geistesgestört zu sein. Kürzlich hatte er zudem erklärt, in einer geschlossenen Anstalt zu sein, sei «schlimmer als der Tod».

(L’essentiel Online / ske)

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