Grossbritannien – Brexit-Turbo Johnson lässt die Briten sitzen

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GrossbritannienBrexit-Turbo Johnson lässt die Briten sitzen

Überraschung auf der Insel: Brexit-Befürworter Boris Johnson will nicht Premierminister werden. Damit gilt Theresa May als aussichtsreichste Nachfolgerin von David Cameron.

Boris Johnson war nach dem Brexit heftigen Anfeindungen angesetzt.

Boris Johnson war nach dem Brexit heftigen Anfeindungen angesetzt.

DPA/Pool

Der ehemalige Londoner Bürgermeister Boris Johnson hat überraschend angekündigt, sich nicht um die Nachfolge des scheidenden Premierministers David Cameron zu bewerben. Das gab der oberste Brexit-Befürworter kurz nach Donnerstagmittag im Anschluss an eine flammende Rede bekannt. «Das ist ein Moment der Hoffnung für Großbritannien», sagt er. Es sei die Chance das Land wieder zu vereinen. Nach Gesprächen mit der Partei habe sich gezeigt, dass er nicht die richtige Person dafür sei.

Ebenso überraschend hatte dafür zuvor Justizminister Michael Gove seine Kandidatur bekanntgegeben. Gove galt bislang als treuer Unterstützer Johnsons. In einer Erklärung griff er den Ex-Bürgermeister scharf an. Er glaube nicht, dass Johnson «die Führung übernehmen und das Team für die kommenden Aufgaben aufbauen» könne.

May in Favoritenrolle

Zuvor war publik geworden, dass sich die britische Innenministerin Theresa May um die Nachfolge von Cameron bewirbt. Die 59-jährige Konservative gilt nach Johnsons Absage als aussichtsreichste Anwärterin auf die Spitzenposten in Partei und Regierung.

May hatte sich in der Vergangenheit mit einer EU-skeptischen Haltung profiliert, hatte im Vorfeld des Brexit-Referendums aber für einen Verbleib Großbritanniens in der EU geworben. In der Kampagne spielte sie indes keine prominente Rolle. May könnte sich der zerstrittenen Partei als Figur des Ausgleichs empfehlen.

Kampfabstimmung bei Labour-Partei?

Auch in der oppositionellen Labour-Partei zeichnete sich eine Neuordnung der Parteiführung ab. Nach britischen Medienberichten will die Abgeordnete Angela Eagle dem bedrängten Parteichef Jeremy Corbyn in einer Kampfabstimmung den Labour-Vorsitz streitig machen. Offiziell bestätigt wurde dies zunächst aber nicht.

– The Times of London (@thetimes) 29. Juni 2016

May versprach in ihrem von der Times veröffentlichten Schreiben «starke und bewährte Führungskraft, um uns durch diese Periode der wirtschaftlichen und politischen Ungewissheit zu führen und die bestmöglichen Verhandlungsergebnisse für ein Ausscheiden aus der EU zu erzielen».

John hatte als Wortführer des siegreichen Brexit-Lagers profiliert und stieg damit zu einer besonders polarisierenden Figur in der britischen Politik auf. Johnsons Kandidatur war weithin erwartet worden. Die parteiinterne Bewerbungsfrist läuft am Donnerstagmittag aus.

Vikarstochter

In deutlicher Abgrenzung zu Johnson, der aus der Oberschicht stammt und einen unkonventionellen Politikstil pflegt, empfahl sich die Vikarstochter May als Politikerin, die die Härten des Alltags kennt. «Manch einem muss gesagt werden, dass das Regieren kein Spiel ist», schrieb sie in der Times. «Es ist ein ernstes Geschäft, das reale Auswirkungen auf das Leben der Menschen hat.»

Einen Schwerpunkt wolle sie in der Sozialpolitik setzen: Unter ihrer Führung werde die Regierung ein «radikales Programm der Sozialreformen» angehen, um «Großbritannien zu einem Land zu machen, das für jeden funktioniert».

Der scheidende Premierminister Cameron hatte May 2010 an die Spitze des Innenministeriums berufen. In der Einwanderungspolitik profilierte sie sich als Verfechterin einer harten Linie. Ihr nüchterner Stil in Politik- wie auch in Kleidungsfragen brachte ihr Vergleiche mit der «eisernen Lady» Margaret Thatcher ein, der bislang einzigen britischen Premierministerin.

Rentenminister will auch Premier werden

Vor May hatte zunächst nur der wenig bekannte Rentenminister Stephen Crabb seine Kandidatur offiziell erklärt. Auch Verteidigungsminister Liam Fox wollte nach Angaben aus seinem Umfeld kandidieren. Wenn es mehr als zwei Kandidaten gibt, wird das Bewerberfeld per Abstimmung der Tory-Abgeordneten verkleinert.

Über die verbleibenden zwei Kandidaten sollen dann die rund 150.000 Parteimitglieder per Briefwahl abstimmen. Das Ergebnis wird für den 9. September erwartet. Cameron hatte nach dem Brexit-Votum seinen Rücktritt angekündigt. Er will es seinem Nachfolger überlassen, in Brüssel offiziell den Antrag Großbritanniens auf Austritt aus der EU zu stellen und die Verhandlungen darüber zu führen.

(L'essentiel/chk/afp)

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