Femen-PatriarchDer Kopf hinter den Brüsten
Ein Film einer Australierin hat in Venedig für eine Überraschung gesorgt. Er enthüllt, dass die Frauenrechtsgruppe Femen von einem Mann gegründet wurde.

Femen weiß, wie man in einer patriarchalisch geprägten Medienwelt die Aufmerksamkeit der Menschen auf das mitunter als spröde verschriene Thema Feminismus lenkt: Indem man, also frau, blank zieht und oben ohne mit viel Lärm dafür sorgt, dass kein Zuschauer die Augen vor ihrem Anliegen verschließt.
Das Krawall-Konzept bekamen schon Machthaber wie Weißrusslands Despot Aleksander Lukaschenko oder sein russischer Kollege Wladimir Putin zu spüren, aber auch an so unterschiedlichen Orten wie dem Zürcher Sihlquai, Notre Dame de Paris, dem Vatikan oder Tunis haben Femen-Frauen schon Flagge gezeigt. Nun hat eine Frau verraten, dass die Bewegung 2008 ausgerechnet von einem Mann gegründet worden ist.
Die Bombe platzte beim Filmfest von Venedig, als die Regisseurin Kitty Green über ihren Streifen «Ukraine is not a Brothel» sprach. Darin «outet» die erst 28 Jahre alte Australierin den Ukrainer Victor Svyatski als Gründer der Gruppe, der bisher nur als «Unterstützer» von Femen galt. Er ist die «graue Eminenz», berichtet «The Independent»: «Es ist seine Bewegung und er hat die Mädchen handverlesen», erklärte Regisseurin Green der britischen Zeitung.
Er wählte nur die Hübschesten
2008 trat seine Gruppe erstmals in Erscheinung, als sie in Kiew unter dem Motto (und Filmtitel) «Die Ukraine ist kein Bordell» gegen Ausbeutung und Diskriminierung protestierte. Svyatski hat bei seinen Mitstreiterinnen peinlich genau aufs Aussehen geachtet. Das Oberflächliche ist ein knallhart kalkulierter Köder: «Er nahm die hübschesten Mädchen, denn die hübschesten Mädchen verkaufen sich besser in den Zeitungen und kommen auf den Titel. Das wurde [Femens] Image, so verkauften sie sich als Marke.»
Green hat für ihren Film ein Jahr lang mit vier Femen-Aktivistinnen in einer kleinen Wohnung in Kiew gelebt und wurde nach einer Aussage Zeuge mehrerer massiver Übergriffe gegen die Gruppe. Demnach seien die Frauen beispielsweise in Weißrussland verhaftet, entkleidet, erniedrigt und dann in einem Wald an der Grenze zur Ukraine ausgesetzt worden. Das Filmmaterial wurde vom Geheimdienst beschlagnahmt: Die Australierin selbst sei acht Stunden eingekerkert und anschließend nach Litauen abgeschoben worden.
«Er ist Femen»
Auch in Femens Heimat wird die Luft dünner. Mehrere Aktivisten haben die Ukraine verlassen, weil sie nach eigenen Angaben «systematisch schikaniert, übel zusammengeschlagen, gekidnappt und wiederholt bedroht» worden sind. Im Sommer erwischten Schläger auch Victor Svyatski: Bilder zeugen von einem brutalen Angriff auf den Frauenrechtler.
Green beschreibt diesen Mann als Mittelpunkt der Gruppe. «Als ich erst im inneren Kreis war, kam ich gar nicht um ihn herum. Er ist Femen.» Ihm sei bewusst, wie paradox es ist, dass eine Frauenrechtsbewegung einen «Patriarchen» habe, aber seine Mädchen seien eben «schwach». Der persönliche Eindruck der Regisseurin: «Er ist wirklich schrecklich, aber leidenschaftlich intelligent. Er hat die Mädchen angeschrien und sie Schlampen genannt.»
Aktivistinnen, die nicht stark sein wollen?
Schrecklich findet sie auch, dass der Mann «seine Mädchen» quasi zu ihrem Glück zwingen will. «[Die Aktivistinnen] haben nicht die Charakterstärke. Sie haben gar nicht den Wunsch, stark zu sein. Stattdessen zeigen sie Unterwürfigkeit, Rückgratlosigkeit, Unpünktlichkeit und andere Eigenschaften, die sie davon abhalten, politische Aktivistinnen zu sein», kritisierte Green.
Die Filmemacherin fragt dann auch nach, ob hier ein Fall des Stockholm-Syndroms vorliegen könnte. Hat sich die «Geisel», die Femen-Frau, mit ihrem «Entführer» Svyatski solidarisiert? Die Antwort einer Aktivistin hat weder etwas von wildem Nackt-Krawall noch von weiblicher Selbstbestimmtheit: «Wir sind psychologisch von ihm abhängig.»
(L'essentiel Online/phi)