Doch kein AuslaufmodellDeshalb ist Twitter heiß umgarnt
Schon seit Monaten wird über einen Verkauf des Kurznachrichtendienstes spekuliert. Doch was wollen die Kaufinteressenten damit?

Twitter wurde einst als neuer Internetstar gefeiert. Doch das Wachstum geriet schon bald ins Stocken. Dem Kurznachrichtendienst fehlte es an neuen Nutzern, mehr Funktionen und einem Bezahlmodell für Promoter; von einem Auslaufmodell war die Rede. Im vergangenen Quartal erzielte Twitter das geringste Umsatzplus seit dem Börsengang im November 2013.
Doch nachdem vor rund zwei Wochen bekannt wurde, dass Twitter auf der Einkaufsliste von Google und Salesforce steht, hat die Aktie einen Kurssprung gemacht. Kurz darauf signalisierten auch Microsoft und Disney ein Kaufinteresse am mit rund 16 Milliarden Dollar bewerteten Unternehmen. Weshalb die Giganten um Twitter buhlen, beantwortet die «Handelszeitung».
Disney: Digitaler Vertriebskanal für eigene Inhalte
Der Unterhaltungskonzern Disney dürfte es auf die Technologien hinter Twitter abgesehen haben, meint Tobias Hüttche, Professor an der Hochschule für Wirtschaft FNHW und Experte für Unternehmensbewertungen und Übernahmen.
Im Bereich des Kabelfernsehens hat Disney Schwierigkeiten und die Sorge, dass Zuschauer sich vom Fernsehen verabschieden. Um seine Inhalte zu verbreiten, braucht der Mickey-Mouse-Konzern also neue Kanäle. Bei Twitter soll künftig stärker auf Videos zu aktuellen Ereignissen fokussiert werden. Daraus ergäben sich beispielsweise Synergien beim Sport-Streaming: Twitter hat damit begonnen, erste Spiele der US-Football-Profiliga NFL zu zeigen, während unter anderem die Fernsehsender ABC und der Sportkanal ESPN zum Disney-Konzern gehören. «Wenn in Zukunft Zuschauer Sport zum Beispiel auf sozialen Netzwerken schauen, könnte Twitter eine mögliche Absicherung dafür sein», sagt Farhad Manjoo, Technologie-Journalist bei der «New York Times».
Wegen einer möglichen Übernahmeofferte habe Disney einen Finanzberater engagiert, berichtete die Nachrichtenagentur Bloomberg. Doch Experten raten vom Kauf ab. Der Preis für das lahmende Unternehmen sei zu hoch, sagt Manuel P. Nappo, Head Center for Digital Business an der Hochschule für Wirtschaft in Zürich, der «Handelszeitung». Er sehe zu wenig Berechtigung für einen Kauf.
Microsoft: Eine Art Verjüngungskur
Der Technologieriese verdaut noch seinen letzten großen Einkauf LinkedIn: Erst im Juni hatte Microsoft das Karriere-Netzwerk für umgerechnet 25,4 Milliarden Euro übernommen und sich damit Nutzerdaten von 450 Millionen Menschen gesichert und den Sprung auf den Social-Media-Zug geschafft. Mit Twitter könnten weitere Daten (von 300 Millionen Nutzern) sowie ein weiteres soziales Netzwerk hinzukommen.
Auch die Kapazitäten im Bereich der künstlichen Intelligenz (Artificial Intelligence, AI) dürfte für Microsoft interessant sein. In diesem Bereich hat Twitter ordentlich zugekauft. Ab einer gewissen Größe sei es für Konzerne wie Microsoft sinnvoll, sich Technologie einzukaufen, anstatt sie zu kopieren, sagt Nappo.
Google: «Search» und «Social» vereinen
Für den Suchmaschinen-Giganten wäre Twitter hinsichtlich der sozialen Community vonnutzen. Mit Twitter könnte Google die Bereiche «Search» und «Social» vereinen. Der Kurznachrichtendienst bietet zudem die Suche via Hashtags, die Google fehlt.
Zudem läge eine Zusammenarbeit von Twitter und Google-Tochter Youtube nahe. «Der Trend geht in Richtung Power of Now», sagt der Digital-Experte Nappo. «Youtube könnte da massiv von Twitter und dessen Livestreaming-App Periscope profitieren: Nutzer könnten zum Beispiel künftig live über Youtube Videos hochladen und diese ebenfalls live mit ihrer Community auf Twitter teilen.»
Gegen den Kauf durch Google spricht, dass die Alphabet-Tochter derzeit bei den Wettbewerbsbehörden nicht sehr beliebt ist. Das Unternehmen schlägt sich mit Vorwürfen der Steuerflucht sowie des Eindringens in die Privatsphäre herum. Hüttche von der FHNW hält es für möglich, dass sich Google inmitten dieser Probleme keiner Kritik durch eine weitere Übernahme aussetzen möchte.
Salesforce: Daten und Produktentwicklung
Das auf Cloud-Computing-Dienste spezialisierte IT-Unternehmen ist im Bereich von sozialen Communities stark. Über das Netzwerk Chatter sind die User zudem bereits mit Twitter verbunden. Der Kurzmitteilungsdienst könnte also leicht integriert werden. Twitters Kapazitäten im Bereich AI könnten den Social-Bereich bei Salesforce zudem weiter stärken.
Dazu kommen Möglichkeiten in der Produktentwicklung: «Das Schlagwort Pretailing macht die Runde», sagt Experte Hüttche. Hier holt ein Unternehmen bei der Enwicklung von Produkten via Social Media Feedback von Kunden ein und passt sein Produkt diesen Informationen entsprechend an.
Wer macht das Rennen?
Der Verkauf von Twitter soll laut dem US-Sender CNBC innerhalb der nächsten 30 bis 45 Tagen über die Bühne gehen. Dabei bleibt auch abzuwarten, welchen Käufer Twitter selber bevorzugt. Denn die potenziellen Käufer dürften das Unternehmen unterschiedlich stark zwingen, sich anzupassen. (nag)
(L'essentiel)