Flüchtlinge auf Lesbos«Die Camps auf den Inseln dienen der Abschreckung»
Die Flüchtlingscamps auf den griechischen Inseln sind übervoll und der Winter naht. Wird sich etwas ändern? L'essentiel hat nachgeforscht.

Die Lage ist desaströs: In den überfüllten Flüchtlingscamps auf den griechischen Inseln der Ost-Ägäis hausen viele Menschen in Zelten. Vor einem Jahr gab es im Lager Moria auf Lesbos fünf Tote durch Kohlenmonoxid-Vergiftung sowie eine explodierte Gasflasche – die Menschen hatten versucht, ihre Sommerzelte zu beheizen. Jetzt steht der dritte Winter seit Beginn der Flüchtlingskrise bevor, und kaum etwas hat sich geändert. Woran liegt das?
Steckt eine Strategie dahinter?
Karl Kopp, Europareferent bei der NGO Pro Asyl und Mitglied im Europäischen Flüchtlingsrat ECRE, sieht im Elend in den Camps eine Strategie: «Die Leute sollen ewig auf diesen Inseln bleiben, weil das der Abschreckung dient.» Irgendwann seien die Flüchtlinge so zermürbt, so die Hoffnung, dass sie ihren Asylantrag zurückziehen.
Der griechische Migrationsminister Ioannis Mouzalas ist Kopps Ansicht nach Mitverursacher der Misere. Der Politiker vertrete die Interessen der Europäischen Union und sei ein Hardliner. «Das Abkommen mit der Türkei legt offiziell nirgendwo fest, dass die Flüchtlinge auf den Inseln festgehalten werden müssen», sagt Kopp, der erst kürzlich auf Lesbos und Chios war. Die Zustände seien aber von der EU politisch gewollt.
Am Geld liegt es nicht
«Mit so viel Geld wird dort so viel Elend produziert», beklagt Kopp. Laut der Europäischen Kommission in Brüssel haben Griechenland und die dort tätigen NGOs seit 2015 371 Millionen Euro aus dem EU-Haushalt für ein Notprogramm erhalten. Zuvor wurden Athen Mittel in Höhe von knapp 510 Millionen Euro zur Betreuung von Flüchtlingen für 2014 bis 202o bewilligt.
Der Europarat sieht das Problem laut «Spiegel» nicht in einem Mangel an Geld, sondern an fehlender Organisation und Koordination. Der Vorwurf: Die unterschiedlichen Behörden arbeiteten nicht effizient zusammen, das Personal in den Camps sei kaum geschult und wechsle zu oft und die Zusammenarbeit mit den NGOs sei verbesserungswürdig.
Bevölkerung und Flüchtlinge sauer
Auf den Ägäis-Inseln Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos leben derzeit laut offizieller Zählung knapp 15.500 Flüchtlinge. Die Hotspots auf Lesbos beherbergen fast 8500 Menschen, sind aber nur für 3000 Personen ausgelegt. Viele Familien mit Kindern leben in provisorischen Zeltlagern außerhalb der Camps, denn seit August kommen wieder merklich mehr Menschen nach Griechenland.
Auf Lesbos regt sich Widerstand auch aus der Bevölkerung: Aus Protest gegen die Zustände in den Camps rief der Bürgermeister der Inselhauptstadt Mytilini, Spyros Galinos, zum Generalstreik auf. Geschäfte, Schulen und Behörden blieben am 20. November geschlossen. «Lesbos ist kein offenes Gefängnis», sagte Galinos. Am Vorabend der Proteste kam es in einem Camp zu Krawallen. Die Flüchtlinge müssten Monate auf die Bearbeitung ihrer Asylanträge warten und es kämen immer neue hinzu, beklagt Galinos und fordert, dass die Menschen aufs Festland gebracht werden.
Die Forderung der NGOs
Ähnlich sehen das die 20 NGOs, die am Mittwoch laut Terre des hommes an die griechische Regierung appellierten, die «‹Politik der Eindämmung›, bei der Asylsuchende auf den Inseln in die Falle geraten», zu beenden. Ihre Forderung: Die Menschen müssen auf das griechische Festland gebracht werden. «Es ist eine Frage von Leben und Tod», sonst würden im Winter wieder Menschen sterben, sagt Jana Frey vom International Rescue Committee.
Die Haltung der Regierung
Von den Forderungen der Menschenrechtler ist die Regierung weit entfernt. Aufs Festland gebracht würden nur besonders schutzbedürftige Flüchtlinge, wie etwa unbegleitete Kinder, sagt Nicolas Economides von der Ständigen Vertretung Griechenlands bei den Vereinten Nationen in Genf zu 20 Minuten. Er betont gleichzeitig: «Das Hauptanliegen des Ministers liegt darin, sicherzustellen, dass die Flüchtlinge die humanen Bedingungen vorfinden, die sie verdienen.»
Um die Lage auf den Inseln zu entschärfen, will die Regierung die Camps ausweiten und mehr Leute einstellen. Ansonsten hält Athen am Türkei-Abkommen fest. «Der Prozess schreitet voran, aber die Dinge brauchen Zeit», antwortet Economides auf die Frage, warum bisher nur wenige Flüchtlinge in die Türkei zurückgeschickt wurden.
Athen sieht Erfolge
Athen gibt zu, dass die Zustände besonders im Auffanglager Moria auf Lesbos schlecht sind, verweist aber vor allem auf die Erfolge. «Hotelbesitzer auf Lesbos und Chios haben sich bereit erklärt, Zimmer für Migranten zu vermieten», sagt Economides. Migrationsminister Mouzalas habe die Europäische Kommission, den UNHCR und die Internationale Organisation für Migration (IOM) dafür um finanzielle Unterstützung gebeten.
Pro-Asyl-Vertreter Karl Kopp findet, dass Hotelzimmer auf den Inseln für Migranten ein richtiger Ansatz sind. Eine Ausweitung der Camps aber sei nicht nur menschenrechtlich kritisch, sondern schüre auch Konflikte mit den Inselbewohnern, sagt er.
(L'essentiel)