DRÜCK «DELETE» – Die geheime Welt von Chinas Online-Zensoren

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DRÜCK «DELETE»Die geheime Welt von Chinas Online-Zensoren

Sie arbeiten rund um die Uhr und beackern Millionen Einträge: Die Zensoren des Twitter-Pendants Sina Weibo löschen alles, was in China als politisch unkorrekt gilt.

Die Zensoren des chinesischen Twitter-Pendants Sina Weibo müssen pro Stunde bis zu 3000 Einträge kontrollieren.

Die Zensoren des chinesischen Twitter-Pendants Sina Weibo müssen pro Stunde bis zu 3000 Einträge kontrollieren.

Sina Corp zählt zu den grössten Internetfirmen in der Volksrepublik China. Das Unternehmen betreibt auch das Twitter-Pendant «Sina Weibo» mit rund 500 Millionen registrierten Benutzern. Wenn diese über den Microblogging-Dienst ihre Inhalte teilen, wird jeder Buchstabe, jedes Bild erst von einer Computersoftware gescannt, bei Bedarf markiert und schliesslich von Hand analysiert.

Denn auf der Lohnliste des Konzerns stehen auch 150 Zensoren. Gefiltert werden anstößige oder für China politisch unkorrekte Inhalte. Vier ehemalige Angestellte haben der Nachrichtenagentur Reuters nun erstmals Einblick in ihre Arbeit gewährt.

Zensur im Schichtbetrieb

Alle Informanten wollen anonym bleiben, erzählen aber, dass sie in einem Bürogebäude außerhalb der chinesischen Stadt Tianjin stationiert waren. In einem Großraumbüro stehen kleine Zellen, abgetrennt mit gelben Wänden. Dort starren täglich bis zu 150 Männer im 24-Stunden-Betrieb auf ihre Bildschirme. Frauen würden wegen der ständigen Nachtschichten die Arbeit nicht machen, erzählt einer der früheren Angestellten.

Die meisten Zensoren von Sina Weibo sind um die 20 Jahre alt, Hochschulabgänger und verdienen umgerechnet rund 350 Euro im Monat - etwa gleich viel ein Schreiner. «Wir arbeiten sehr hart und werden schlecht bezahlt», beklagt sich einer der Zensoren.

3000 Einträge pro Stunde

Jeden Tage bearbeiten die Angestellten rund drei Millionen Posts. Jeder Mitarbeiter müsse mindestens 3000 Einträge pro Stunde abarbeiten. Herunter gebrochen sind das rund 50 Posts in der Minute. «Am meisten werden politische Kommentare von Regierungskritikern gelöscht», sagt einer der Informanten. Die einzelnen Schichten dauern oft bis zu zwölf Stunden.

Der Konzern versucht die Arbeit der Zensoren zu verschleiern, indem sie eine spezielle Taktik anwenden. So bleibt der gelöschte Beitrag für den Ersteller zwar sichtbar, wird für alle anderen aber blockiert. In anderen Fällen könnte ein Benutzer auch temporär gesperrt oder sein Profil ganz gelöscht werden, sagt einer der Informanten.

Wenn ein Zensor einen sensitiven Beitrag nicht löscht und sich dieser verbreitet, würden Bußen verteilt oder gar Kündigung ausgesprochen.

Die Zensoren von Sina Corp sind nur ein kleiner Teil der Zensurmaschinerie in China. Experten schätzen, dass mehrere zehntausend Zensoren im ganzen Land traditionelle Medien, aber auch das Internet überwachen.

(L'essentiel Online/tob)

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