Terror in London – «Die Köche beschützten uns mit ihren Messern»

Publiziert

Terror in London«Die Köche beschützten uns mit ihren Messern»

Nach dem jüngsten Anschlag versuchen die Londoner, den Alltag wieder einkehren zu lassen. Das scheint aber nur auf den ersten Blick zu gelingen. Ein Stimmungsbericht.

Vor den Metrostationen stehen die unbewaffneten Beamten der City of London Police, man sieht sie in Gruppen auf den Straßen patrouillieren. Die Gratiszeitungen, die überall verteilt werden, widmen sich in großen Schlagzeilen den Opfern des Anschlags auf der London Bridge. Auf den ersten Blick sind das die einzigen Dinge, die einem auf dem Weg durch die Stadt auffallen.

In der Nähe der Brücke ändert sich das. Eine blonde junge Frau wird von zwei Freunden gestützt und muss sich tränenüberströmt auf eine Bank setzen. Eine andere junge Frau sitzt beim Brückenaufgang weinend am Boden. Die Passanten beachten sie kaum.

Auf einer Wand vor der Brücke hängt ein Plakat: «Bitte helft uns, Sebastien zu finden. Er wird seit der Attacke auf der London Bridge vermisst.» Ob derlei den Londonern auch auffällt? Wenn sie zur Rushhour in Maßen über eben diese Brücke rollen, auf der sich am Samstag erneut Unsägliches abspielte, scheint es nicht so. Doch natürlich ist der Terror ein Thema.

«Unsicherheit statt Sorglosigkeit»

Man hört die Menschen in der Metro, im Vorbeigehen, in Cafés darüber sprechen – wobei viele hier auf die Arbeit der Sicherheitskräfte stolz sind. «Nach acht Minuten war die Lage unter Kontrolle. Das soll uns mal einer nachmachen!», ist zu hören. Aber auch: «Wieso haben sie die Jihadisten nicht früher fassen können?»

Auf der Brücke machen Touristen wie eh und je Fotos und Selfies. «Wir müssen damit zu leben beginnen und für unsere Werte einstehen», sagt eine Belgierin. Sie und ihre Gruppe gehen heute an ein Konzert von Phil Collins. Angst? «Nicht gerade. Aber ein leicht flaues Gefühl im Magen, Unsicherheit statt Sorglosigkeit», sagt sie.

«Überall lag Verbandszeug von den Sanitätern herum»

Ein Türsteher vor einem Geschäftshaus gleich neben der London Bridge erzählt von der «geisterhaften Stimmung» noch am Morgen: «Überall lag Verbandszeug von den Sanitätern herum. Weiter hinten lagen noch Stühle vor den Bars, und halbvolle Biergläser standen herum.»

«Meine Freunde leben gleich neben der Brücke», so Steve (32). «Sie haben von ihrem Fenster aus vieles mitbekommen. Sie sind erschüttert. Aber wissen Sie: Wir sind Londoner und lassen uns nicht unterkriegen. Vielleicht haben unsere Eltern uns das aus dem Zweiten Weltkrieg mitgegeben, eine ‹Blitz-Mentalität›, die hat etwas Trotziges, etwas Widerspenstiges an sich.»

«Wir saßen in einem italienischen Restaurant in Borough Market, als die Kellner plötzlich die Türen verriegelten. Es hieß, es habe einen Vorfall gegeben und wir sollten vorerst im Restaurant bleiben. Die Köche kamen aus der Küche und stellten sich mit ihren Messern in einer Reihe vor der Eingangstür auf. So beschützten sie uns! Das war schon eindrücklich», erzählt Julie.

«Wir hören zu»

Rund um die London Bridge sind die so genannten Response Pastors im Einsatz. Die ehrenamtlichen christlichen Seelsorger sind Ansprechpartner für alle, die sich über den Anschlag und den Terror der letzten drei Monate unterhalten wollen.

«Wir kommen in Krisen- und Notsituationen zum Einsatz. Wir hörten den Menschen nach dem Anschlag auf der Westminsterbrücke, dem Anschlag von Manchester und jetzt hier auf der London Bridge zu», sagt Mike Freeman. «Wir unterstützen und helfen jedem, der das will.»

Sei es der Anschlag auf der Westminsterbrücke, auf das Stadion in Manchester oder auf der London Bridge: Vielen Menschen laufe das Herz über. «Viele sagen uns, dass sie sich das alles einfach nicht erklären könnten. Das können wir auch nicht. Aber wir können mitfühlen und zuhören. Manchmal wollen die Leute nur eines: dass man ihnen zuhört und etwas Trost spendet. Das gibt es immer weniger.»

Es gebe immer Hoffnung, dass es wieder besser werde, sagt Freeman. «Viele erleben jetzt die schwärzeste Stunde ihres Lebens. Wir wollen ihnen Liebe, Mitgefühl und etwas Hoffnung geben.»

(L'essentiel)

Deine Meinung