Erobern Piraten die Saar? – «Die Wahlen kamen für uns überraschend»

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Erobern Piraten die Saar?«Die Wahlen kamen für uns überraschend»

SAARBRÜCKEN – Die Chancen stehen gut, dass die Piratenpartei am Sonntag neu in den Saar-Landtag gewählt wird. Ihre Spitzenkandidatin ist gerade einmal 22 Jahre alt.

Die Piraten wollen am Sonntag im Saarland in den Landtag gewählt werden.

Die Piraten wollen am Sonntag im Saarland in den Landtag gewählt werden.

22 Jahre ist sie alt und hat es bereits vor zwei Jahren an die Spitze ihrer Partei im Saarland geschafft: Jasmin Maurer, Landesvorsitzende der Piratenpartei. Was bei CDU und SPD ungefähr so wahrscheinlich ist, wie einmal im Leben Bundeskanzler zu werden, bedeutet bei den Piraten zwar eine steile, aber machbare Karriere. Zu unerfahren? Diesen Vorwurf bügelt Jasmin Maurer leicht weg: «Ich sehe mein Alter nicht als Nachteil. Es gibt im Land viele junge Menschen. Ich kann mich eher in ihre Belange hineindenken.»

Derzeit erlebt die gelernte IT-Kauffrau einen Frühling, der für sie einige Herausforderungen mehr bietet als sie noch zu Neujahr erwartet haben dürfte. Nach der überraschenden Auflösung der Jamaika-Koalition (CDU, FDP und Grüne) Anfang Januar wählen die Saarländer am Sonntag vorzeitig ihren Landtag neu. «Die Wahlen kamen für uns überraschend. Wir hatten erst für 2014 damit gerechnet», erzählt Jasmin Maurer. Schnell wurden Plakate gedruckt, ein Treffen einberufen, um das Wahlprogramm «basisdemokratisch» zu erarbeiten, Kreisverbände ins Leben gerufen. Erst am vorvergangenen Wochenende brachten die Politik-Newcomer ihr Wahlprogramm auf Papier – 14 Tage vor der Abstimmung im Nachbar-Bundesland.

Viel Überraschendes findet sich darin nicht, denn die Piraten vertreten auch an der Saar die Ziele, mit denen bereits die Berliner Kollegen im September 2011 erfolgreich in den Wahlkampf gingen und mit 8,9 Prozent der Stimmen in das Abgeordnetenhaus der Hauptstadt einzogen. Es sind Forderungen nach mehr Transparenz (Offenlegung der Parlamentarier-Einkommen), mehr Partizipation des Bürgers (Einrichtung von Online-Petitionen, Wahlrecht ab 16 Jahren) oder ein leichterer Zugang zu Bildung (Wegfall der Studiengebühren), die zu den Grundideen der jungen Partei gehören.

Und welche Ziele gibt’s speziell fürs Saarland?

Doch den regionalen Bezug haben die Saar-Piraten nicht aus den Augen verloren. Ja, für die Schuldenbremse, die die Aufnahme neuer Kredite ab 2020 verbietet, sind sie schon. Und auf den Finanzausgleich, durch den die «reichen» Bundesländer Gelder ins schuldengebeutelte Saarland überweisen, wollen sie auch nicht verzichten. Wie künftig allerdings im eigenen Haushalt gespart werden soll, da weist das Wahlprogramm nicht mehr als Andeutungen auf.

Ob die geforderte Begrenzung der Finanzmittel für die Fraktionen im Landtag ausreicht? Oder auch das Sparen in den Verwaltungen? Wohl kaum. Und wie sollen die kostenlosen Plätze in den Krippen, Kindertagesstätten und -gärten finanziert werden? Ein großes Fragezeichen. Da wirkt die sicherlich gut gemeinte Forderung, den «sexuellen Missbrauch von Wirbeltieren (Zoophilie)» als Verstoß gegen das Tierschutzgesetz anzusehen und zu ahnden, im Wahlprogramm fast schon fehl am Platz.

Sorgen die Saar-Piraten für Stühlerücken?

Doch das dürfte den Erfolg der Piraten kaum schmälern. «Sie sind keine ‚Ein-Punkt-Partei’, sondern deshalb für viele attraktiv, weil sie anders als die Grünen die Breite der realen Welt verkörpern und ohne konkretes Programm Optimismus verbreiten und Fortschritt in Gesellschaft und Politik verheißen», befand Manfred Güllner, Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Forsa, anlässlich der Berlin-Wahl im Magazin «Cicero».

Eine der letzten Umfragen sah die Saar-Piraten bei sechs Prozent (siehe Infokasten). Damit würde die junge Partei, die sich im Saarland erst vor knapp drei Jahren gegründet hat, in den Landtag einziehen und für ein Stühlerücken sorgen.

Der Stress im Amt fegt das Spitzenpersonal weg

Dass die Saar-Piraten vom Erfolg in Berlin profitieren, der der Partei erstmals bundesweit Aufmerksam brachte, ist auch für Jasmin Maurer klar. «Seitdem hat sich unsere Mitgliederzahl verdreifacht», sagt die Landesparteivorsitzende. Die rund 350 Mitglieder brächten sich jetzt im Wahlkampf und bei der Programmgestaltung ein.

Ihre Berliner Kollegen sind den Saarländern bereits einige Erfahrungen im stressigen Politikbetrieb voraus. So entschied der Berliner Landesvorsitzende Gerhard Anger nach wenigen Monaten im Amt, nicht erneut zu kandidieren. Begründung: «Ich ertrage diese emotionale Belastung nicht.» Und auch Bundesgeschäftsführerin Marina Weisband kündigte ihren Rückzug aus gesundheitlichen Problemen an. Sie wolle sich prioritär ihrem Studium widmen.

Dass sie am Stress des Politikeralltags scheitern könnte, glaubt Jasmin Maurer trotz alledem nicht. «Natürlich wird viel Druck auf uns zukommen. Jeder muss sich darauf einstellen und lernen, damit umzugehen. Wir sind überzeugt, dass wir das schaffen können.»

Kerstin Smirr/L’essentiel Online

Wer steht an der Spitze?

CDU-Amtsinhaberin Annegret Kramp-Karrenbauer oder SPD-Spitzenkandidat Heiko Maas - wer führt im Saarland künftig die beiderseits eingeplante große Koalition? Das ist die spannendste Frage vor der Landtagswahl an diesem Sonntag. Zwischen der Regierungschefin und ihrem Herausforderer wird ein Kopf-an-Kopf- Rennen erwartet, in dem am Ende einige hundert Stimmen den Ausschlag geben könnten.

In den Umfragen der vergangenen Woche lagen CDU und SPD gleichauf. Die Forschungsgruppe Wahlen ermittelte für das ZDF-«Politbarometer» einen Stimmenanteil von 34 Prozent für beide Volksparteien. Infratest dimap sagte im Auftrag der ARD je 33 Prozent für CDU und SPD voraus. Die Linke lag zwischen 15 und 16 Prozent. Die FDP muss damit rechnen, aus dem Landtag zu fliegen (2 bis 3 Prozent). Der Piratenpartei (6 Prozent) und den Grünen (5 Prozent) geben die Demoskopen bessere Chancen, die Fünf-Prozent-Hürde zu schaffen.

So funktioniert's

Bei der Landtagswahl am Sonntag sind rund 800 000 Saarländer zur Stimmabgabe aufgerufen. Elf Parteien bewerben sich um die 51 Sitze im Saarbrücker Landtag. Neben CDU, SPD, Linkspartei, Grünen und FDP treten die Piratenpartei, die Familien-Partei, die NPD, die Freien Wähler, «Die PARTEI» und die Initiative Direkte Demokratie an.

Es gibt drei Wahlkreise: Saarbrücken, Saarlouis und Neunkirchen. Jeder Wahlberechtigte hat nur eine Stimme, mit der gleichzeitig die Landes- und eine der drei Wahlkreislisten einer Partei gewählt wird. Von den 51 Mandaten werden 41 über die Wahlkreis-, die übrigen über die Landeslisten vergeben. Diese aus den 60er Jahren stammende Regelung gibt es laut Landeswahlamt in keinem anderen deutschen Flächenland mehr. (dpa)

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