BeschneidungEin kleines Häutchen sorgt für Mega-Debatte
Ein Gericht in Köln hat die Beschneidung von Jungen als Körperverletzung eingestuft. Juden und Muslime sind entsetzt. Kommt es nun zu einem «Beschneidungstourismus»?

Körperverletzung oder Religionsfreiheit? Beim Thema Beschneidung treffen verschiedene Argumente aufeinander.
Bereits zwei Wochen ist es her, dass das Kölner Landgericht religiöse Beschneidungen - also die chirurgische Entfernung der Penis-Vorhaut im Kindesalter - als «rechtswidrige Körperverletzung» eingeordnet hat. Sie verletze das Selbstbestimmungsrecht der Kinder. Und noch immer tobt in Deutschland eine Debatte darüber, ob die Richter richtig geurteilt haben.
Widerstand kommt unter anderem von der jüdischen Glaubensgemeinschaft. So wandte sich am Donnerstag die Konferenz Europäischer Rabbiner scharf gegen das Urteil. «Sollte es Bestand haben, sehe ich für die Juden in Deutschland keine Zukunft», sagte der Präsident des Verbandes, der Moskauer Rabbiner Pinchas Goldschmidt, in Berlin. Er gehe jedoch davon aus, dass die Beschneidung von Knaben aus religiösen Gründen gesetzlich in der Bundesrepublik erlaubt wird.
Beschneidung acht Tage nach Geburt
Bereits am Montag hatte Goldschmidt erklärt, das Kölner Urteil sei eine der schwersten Attacken auf jüdisches Leben in Europa in der Zeit nach dem Holocaust. Das Schächtverbot der Nationalsozialisten sei ein Zeichen für viele Juden gewesen, «wir müssen weg aus Deutschland», sagte Goldschmidt. Ein Beschneidungs-Verbot wäre angesichts der Bedeutung dieses Brauchs ein viel stärkeres Zeichen. Weltweit seien 30 Prozent der Männer beschnitten.
Die Beschneidung sei Grundlage für jüdisches Selbstverständnis, betonte Goldschmidt. Die rechtliche Überlieferung des Judentums (Halacha) schreibe sie acht Tage nach der Geburt eines Jungen vor. In dieser Frage gebe es absolute Einigkeit zwischen orthodoxen und liberalen Juden.
Auch nach dem Kölner Urteil würden die von den Synagogen bestellten Beschneider (Mohel) die Entfernung der Vorhaut von Knaben fortsetzen, fügte der Rabbiner Avichai Apel von der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland hinzu. Unter Eltern herrsche aber große Verunsicherung. Sollten Ärzte die Beschneidung im Krankenhaus nicht vornehmen, könnten sich Eltern an die Mohel in den Synagogen wenden.
«Ein harmloser Eingriff»
Der Zentralrat der Muslime nannte die Entscheidung «einen eklatanten und unzulässigen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften und in das Elternrecht». Die Türkische Gemeinde in Deutschland warnte vor einem «Beschneidungstourismus» in Länder, in denen solche Eingriffe nicht bestraft werden.
Die Knabenbeschneidung sei «ein harmloser Eingriff» mit einer tausende Jahre alten Tradition und hohem Symbolwert, sagte der baden-württembergische Landesvorsitzende der Religionsgemeinschaft des Islam, Ali Demir. Die Entfernung der Vorhaut habe hygienische Vorteile und vermindere die Übertragung von Infektionen.
Das Kölner Gericht hatte den angeklagten Arzt, der einen muslimischen Jungen beschnitten hatte, zwar freigesprochen - allerdings mit der Begründung, dass der Mediziner von der Strafbarkeit nichts gewusst habe. Ärzteverbände und Urologen dringen darauf, in Deutschland vorerst keine rituellen Beschneidungen mehr vorzunehmen oder die Eingriffe einzuschränken.
(L'essentiel Online/dpa)
Regierung will Beschneidung erlauben
Die deutsche Regierung will klarstellen, dass rituelle Beschneidungen von Jungen in diesem Land vorgenommen werden können. Dies kündigte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag in Berlin an. Der Regierungssprecher sagte: «Wir wissen, da ist eine zügige Lösung notwendig, da kann nichts auf die lange Bank geschoben werden». Seibert betonte: «Verantwortungsvoll durchgeführte Beschneidungen müssen in diesem Land straffrei möglich sein.»