Bluttat in WashingtonEin Schwarzer unter vielen weißen Mördern
Aaron Alexis ist nicht der typische US-Amokläufer: Dieser ist in der landläufigen Meinung weiß. Psychologen glauben zu wissen, warum...

«Damit hatten die Gründerväter sicher nicht gerechnet, als sie die Waffenrechte in die Verfassung schrieben», sagt Lawrence O'Donnell vom US-Sender MSNBC nach dem Amoklauf in Washington: Barack Obama habe in seiner Amtszeit öfter Beileidsansprachen nach Massakern gehalten als Reden zur Lage der Nation. Derzeit steht es 4:6 – und der Präsident hat noch drei Jahre vor sich.
Auch in anderer Hinsicht dürfte das Verbrechen von Aaron Alexis, der in einem Marine-Stützpunkt in der amerikanischen Hauptstadt 12 Menschen getötet hat, die Statistiker aufhorchen lassen: Er war schwarz. Tödliche Amokläufe werden laut der landläufigen Meinung aber von Weißen verübt. Es ist leicht zu sehen, woher diese Vorstellung rührt:
Adam Lanza, 26 Opfer in Newtown, weiß
Wade Page, 4 Opfer in Oak Creek, weiß
James Holmes, 12 Opfer in Aurora, weiß
Jared Loughner, 6 Opfer in Tuscon, weiß
Die letzten vier Massaker vor Washington wurden tatsächlich von Weißen verübt. Hinzu kommen Verbrechen mit geradezu ikonischem Charakter, welche das Stereotyp des weißen Todesschützen zementieren, wie das an der Columbine High School von 1999. Damals erschossen Eric Harris und Dylan Klebold 13 Personen. US-Dokumentarfilmer Michael Moore machte die Tragödie zum Aufhänger seines Films «Bowling for Columbine» über die amerikanische Waffenkultur.
Öffentlichkeit erinnert sich nur an Stereotyp
Mit der Realität hat das Stereotyp allerdings wenig zu tun. Es gibt viele Fälle von nicht-weißen Amokläufern. Darunter in der jüngeren Vergangenheit:
Nidal Hasan, 13 Opfer in Fort Hood, arabisch
Seung-Hui Cho, 32 Opfer an Virginia Tech, koreanisch
Jiverly Wong, 13 Opfer in Binghamton, vietnamesisch
Der Psychologe Peter Langman ist ein Experte auf dem Gebiet von Schulmassakern. Auch ihn erstaunt, warum Amokläufe von Nicht-Weißen sich nicht im kollektiven Bewusstsein der Amerikaner festsetzen. Er glaubt, dass sich die Öffentlichkeit vor allem an einen bestimmten Typ von Massaker erinnert: Wenn ein Schüler an seiner eigenen Schule andere Schüler umbringt. Alles, was davon abweicht, werde quasi als Ausnahme empfunden, welche die Regel bestätigt. Das gelte sogar für das in puncto Opferzahl schlimmste Massaker an der Universität Virginia Tech (siehe oben).
«Wir sollten uns von diesem Stereotyp nicht täuschen lassen», schreibt Langman auf «Psychology Today». Erstens sei es nicht korrekt. Zweitens bestehe die Gefahr, das Gewaltrisiko zu unterschätzen, das von nicht-weissen Tätern ausgeht. «Und das wäre tragisch», so der Psychologe.
(L'essentiel Online/kri)