Erdbeben in Marokko: Kadija kam zum Urlaub und blieb zum Helfen

Publiziert

Erdbeben in MarokkoKadija kam zum Urlaub und blieb zum Helfen

LONGWY/AIT MANSOUR – Kadija war zum Zeitpunkt des verheerenden Erdbebens bei ihrer Familie im Atlasgebirge. Die ehemalige Grenzgängerin aus Longwy hat mit «L'essentiel» über die Nacht und die Tage danach gesprochen.

Marine Meunier
von
Marine Meunier
1 / 20
Kadija hat das Erdbeben in Marokko vergangenen Freitag live miterlebt. Seitdem reist sie von Dorf zu Dorf, um zu helfen und sieht dabei das Ausmaß der Zerstörung.

Kadija hat das Erdbeben in Marokko vergangenen Freitag live miterlebt. Seitdem reist sie von Dorf zu Dorf, um zu helfen und sieht dabei das Ausmaß der Zerstörung.

DR

DR

DR

Fünf Tage, nachdem bei einem starken Erdbeben in Marokko mehr als 2900 Menschen ums Leben gekommen sind und 5000 verletzt wurden, dauert die Suche nach sowie die Versorgung von Überlebenden weiter an. Kadija, eine ehemalige Grenzgängerin aus Longwy, war zum Zeitpunkt des Erdbebens bei ihrer Familie im Atlasgebirge. «Ich hörte einen Knall wie von einem riesigen Knallkörper, ein Donnerschlag. Zuerst dachte ich, ich träume, aber wir wurden alle von dort weggeschleudert» schildert sie das Beben.

Die ehemalige Sekretärin einer Kindertagesstätte ist seit Mitte August auf Urlaub in Marokko und hatte ihren Aufenthalt in Ait Mansour wegen gesundheitlicher Probleme ihres Onkels bis zum 7. September verlängert. Während des Bebens lag Kadija in ihrem Bett und ihre Onkel und Tanten im Wohnzimmer. Als sie die Erschütterungen bemerkte, zog sie sich reflexhaft ein T-Shirt über, nahm ihr Handy und eilte über das Erdgeschoss ins Freie. «Das ganze Dorft versammelte sich auf einem unbebauten Grundstück in der Nähe», erinnert sie sich. Viele davon schreiend oder weinend im Schock.

Seit Anfang der Corona-Pandemie war die Französin nicht mehr in die Heimat ihrer Familie zurückgekehrt. Erleichtert erzählt sie, dass ihr Dorf glücklicherweise nur leicht betroffen war. Einzig die Risse in den Mauern sind stumme Zeugen der Naturkatastrophe. Derzeit übernachtet sie wie ihre Familie und die anderen Bewohner des Dorfes im Freien: «Aber wir haben Angst vor dem Einsturz der Mauern, wie alle anderen auch.»

Die Tage sind zwar noch warm, aber die Nächte dafür besonders kalt und klamm. Vorsichtig war Kadija mit ihrer Familie ins Haus zurückgekehrt, um wenigstens ein paar Kleidungsstücke herauszuholen. Dabei ließen sie «die Türen offen, um schnell wieder rauszukommen, falls die Erde wieder beben sollte». Derzeit müssen sie sich mit dem Allernötigsten begnügen und so tragen die kleinen Nichten etwa den XXL-Pulli ihres Onkels. Auch Strom gibt es keinen und die Läden in der Stadt sind allesamt geschlossen, sodass den Betroffenen nur «Tee, Brot und Wasser» zum Überleben bleibt.

Die 51-jährige Französin hält es jedoch nicht aus, nur zuzusehen, und besucht die Nachbardörfer, die weniger Glück hatten als Ait Mansour. Ihre Fotos zeigen ein Bild der Verwüstung und stellenweise grenzt es an ein Wunder, dass manche Gebäude noch stehen. Die Innenräume sind oftmals in katastrophalem Zustand und unbewohnbar.

«Psychologisch ist das eine andere Geschichte.»

Kadija

Für das kommende Wochenende ist Regen gemeldet, was die Bevölkerung weiter beunruhigt. Viele fürchten den Einsturz ihrer Häuser. Um den Opfern zu helfen, hat die Französin einen Fonds gestartet und es sind vor allem Vorräte, die von Helfenden gebracht werden. Den Mangel an sicheren Unterkünften lindert dies gleichwohl nicht, zumal der Winter meist schneller kommt als man denkt.

Inmitten des Chaos registriert Kadija allerdings auch Gutes: «Es hat sich eine echte Hilfsbereitschaft entwickelt, viele bringen Lebensmittel mit, manche organisieren Hauptmahlzeiten auf den Sammelplätzen.» Körperlich haben Kadija und ihre Familie nur leichte Kratzer abbekommen, aber «psychologisch ist das eine andere Geschichte», gesteht sie mit brüchiger Stimme. Als sie bei ihrer Familien anrief, um sich auf den Stand der Dinge bringen zu lassen, bekam sie als Antwort: «Das Leben ist das Wichtigste, das Material ist nicht so wichtig.»

Deine Meinung

0 Kommentare