SexFlaute im Bett? Das sind die wahren Gründe
Der Sexualwissenschaftler und -psychologe Joseph Ahlers erklärt, dass Unlust im Bett nichts mit der Länge einer Partnerschaft zu tun hat, sondern eher mit emotionaler Distanz.

- von
- Letizia Vecchio
Einfach keine Lust auf Sex? So «einfach» ist es dann eben doch oft nicht – vielmals gibt es unterschiedlichste Gründe, warum in Beziehungen im Bett Flaute herrscht. Das Spannende daran: Laut dem Sexualpsychologen Dr. Christoph Ahlers liegt die Unlust nicht darin begründet, dass nach vielen Jahren Beziehung einfach die Luft raus ist. Im Gespräch mit der Schweizer Tageszeitung NZZ räumt er mit vielen klassischen Vorurteilen und Glaubenssätzen auf, zum Beispiel mit einem der wohl am verbreitetsten Klischees: «Männer können und wollen immer, Frauen nie.»
Oft sei es nämlich genau anders herum: Die Frauen kämen mit ihren Männern zu Ahlers in die Therapie, weil ihre Partner keine Lust mehr hätten, mit ihnen zu schlafen. Die Frauen wiederum fühlten sich nicht mehr begehrt. «Wenn ich dann weiterfrage, stellt sich oft heraus, dass die Männer sich mitunter aber täglich selbst befriedigen. Das macht die Frauen natürlich erst einmal baff und sauer», so Ahlers. Sexuelle Unlust kann also nicht der wahre Grund sein – sondern laut dem Sexualtherapeuten vor allem der von den Männern empfundene Leistungsdruck.
«All das macht Sex zu einer Bewährungs- und Leistungsprüfung.»
Unlust entsteht also auf männlicher Seite vor allem dadurch, dass die Werte unserer heutigen Leistungsgesellschaft sich auch auf das Zwischenmenschliche übertragen haben: Sex sei dann wie ein Tauschgeschäft, bei dem es nur darum gehe, dass jeder zum Orgasmus käme. Wenn das Ziel nicht erreicht sei, würden sich die Beteiligten schnell als Versager fühlen. «All das macht Sex zu einer Bewährungs- und Leistungsprüfung, die unweigerlich zu Versagensangst und Vermeidungstendenz führt», meint Ahlers.
Ahlers vergleicht Sex dann mit Hochleistungssport wie bei der Tour de France oder bei einem Iron Man. Der Mann müsse zunächst eine Erektion aufbauen, diese dauerhaft halten, damit die Frau im besten Fall gleich mehrfach kommt. Bei der Frau wiederum sei das durch rein vaginale Penetration ohnehin ein Ding der Unmöglichkeit, was sie wiederum «zwingt», einen Orgasmus vorzutäuschen. «Auf diese ganze Pornochoreografie samt Stellungskrieg und Koitalakrobatik haben immer weniger Menschen Lust. Und das kann ich sehr gut verstehen», sagt der Sexualtherapeut.
Sex in Beziehungen dient den psychosozialen Nöten
Eigentlich würden wir beim Sex aber etwas ganz anderes suchen, nämlich so angenommen zu werden, wie wir sind. Die Trias «gewollt, gemocht und geborgen sein» fasst das gut zusammen. Wenn einem Paar dies gelänge, könne Sex laut Ahlers wie eine Erlösung sein, weil er die Vereinzelung überwinde. Erregung, Lust und Orgasmus seien dann nur der Zuckerguss auf diesem eigentlichen Kuchen. Denn der Sex in Beziehungen diene nicht in erster Linie der Triebbefriedigung, sondern eher der Erfüllung psychosozialer Bedürfnisse.