Brexit-Abstimmung – Harter Kampf zwischen Regierung und Parlament

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Brexit-AbstimmungHarter Kampf zwischen Regierung und Parlament

Die Nerven in London liegen blank: Das Brexit-Abkommen wird bei der Abstimmung am Dienstag im Londoner Parlament wahrscheinlich durchfallen.

Pro-europäische Demonstranten stehen mit ihren Schildern vor dem britischen Parlament.

Pro-europäische Demonstranten stehen mit ihren Schildern vor dem britischen Parlament.

DPA/Frank Augstein

Kurz vor der entscheidenden Brexit-Abstimmung nimmt der Machtkampf zwischen der britischen Regierung und dem Parlament an Schärfe zu. Die Opposition um Labour-Chef Jeremy Corbyn erhöhte den Druck auf Premierministerin Theresa May und drohte erneut mit einem Misstrauensvotum. Am Sonntag gab es zudem britische Medienberichte über Pläne von Rebellen aus der Regierungsfraktion, dem Kabinett das Heft aus der Hand zu nehmen.

Sollte das Abkommen bei der Abstimmung am Dienstag durchfallen, wäre das «ein katastrophaler und unverzeihlicher Vertrauensbruch in unsere Demokratie», schrieb May im Sunday Express. «Es ist an der Zeit, die Spiele zu vergessen und das zu tun, was für unser Land richtig ist.»

May betonte, das Abkommen bringe London die Kontrolle über die eigenen Grenzen, Gesetze, Handelspolitik und Küstengewässer zurück. Auch die Kontrolle über das Geld werde wieder erlangt, weil keine Riesensummen mehr nach Brüssel geschickt werden müssten. Die Abstimmung über das Brexit-Abkommen zwischen London und den 27 anderen Mitgliedstaaten ist für den Dienstagabend geplant, wie ein Parlamentssprecher der Deutschen Presse-Agentur sagte. Sie werde frühestens um 20 Uhr (MEZ) beginnen.

«No Deal» bringt Milliardenkosten

Eine Niederlage Mays gilt als wahrscheinlich. Die Folge könnte ein ungeregelter EU-Austritt am 29. März sein. In dem Fall droht Chaos in der Wirtschaft und vielen anderen Bereichen. Auch die verbleibenden EU-Mitglieder und deren Wirtschaft würde ein solcher «No Deal» mit zusätzlichen Milliardenkosten belasten.

Auch in Großbritannien liegen mit Blick auf die Wirtschaft die Nerven blank. Arzneimittelengpässe, Probleme bei der Zulieferung wichtiger Teile für die Autoindustrie oder Mangel an bestimmten Lebensmitteln werden bei einem «No Deal» nicht ausgeschlossen. Die englische Hafenstadt Dover könnte beim Transport von Waren schnell zum Nadelöhr werden - wegen nötiger Kontrollen würden dort Prognosen zufolge binnen kurzer Zeit 50 Kilometer lange Staus entstehen. Große Kühl-Lagerräume sind schon längst in England ausgebucht.

Das Parlament in London ist in Sachen Brexit heillos zerstritten. Labour-Chef Corbyn setzt auf eine Neuwahl. Das forderten auch Demonstranten am Samstag in London, die dort nach dem Vorbild der französischen Gelbwesten-Bewegung gegen die Regierung protestierten. Die Veranstalter sprachen von mehreren Tausend Teilnehmern.

Gespaltene Nation

Die Sparpolitik und der Brexit haben laut der Kampagne «The People's Assembly Against Austerity», die die Demo organisierte, die Nation geteilt. «Seit die Tories die Macht übernommen haben, hat sich die Zahl der Obdachlosen verdoppelt», sagte Kampagnen-Vizechef Steve Turner. Der staatliche Gesundheitsdienst NHS, der Pflegebereich und Schulen seien in der Krise. «Wir haben es hier mit einer Regierung zu tun, der die Alltagssorgen der Menschen völlig fremd sind.»

Der britische Verkehrsminister Chris Grayling warnte vor weiteren tiefgreifenden Folgen für das Vereinigte Königreich, sollte das Abkommen am Dienstag durchfallen. Dies werde die Tür für extremistische politische Kräfte öffnen - «so wie wir es in anderen Ländern in Europa sehen», erklärte Grayling der Daily Mail. Der Minister sagte eine «weniger tolerante Gesellschaft» voraus und ein mögliches Ende der «moderaten» Politik in Großbritannien.

Brüssel hatte mehrfach betont, dass es beim Brexit-Vertrag keine Nachverhandlungen mehr gibt - allenfalls «Klarstellungen» seien noch möglich. Die EU-Kommission sei dazu mit Downing Street in Kontakt. Sollte die Abgeordneten am Dienstag wider Erwarten doch für das Abkommen stimmen, dann würde eine Übergangsfrist bis mindestens Ende 2020 greifen. In diesem Zeitraum bliebe praktisch alles beim Alten. Um einen Austritt ohne Vertrag abzuwenden, wird nun auch vermehrt über eine Verschiebung des Brexits spekuliert. Dies wäre auf Antrag Großbritanniens mit Zustimmung aller anderen 27 EU-Staaten möglich. Alternativ könnte Großbritannien seinen Austrittsantrag zurückziehen - und es womöglich in einigen Monaten noch einmal versuchen.

(L'essentiel/dpa)

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