ArgentinienHigui tötet ihren Peiniger - und muss in Haft
Eine Lesbe wird auf der Straße von einer Männergang attackiert. Als sie sich verteidigt, tötet sie einen der Angreifer. Die Frau sitzt in U-Haft, die Männer nicht.

In Argentinien fordern Frauen- und Menschenrechtsorganisationen die Freiheit für Eva Analía de Jesús (43), von ihren Freunden einfach Higui genannt. Die Frau sitzt seit fast acht Monaten in Untersuchungshaft, weil sie einen Mann tötete. Die Tatsache, dass sich Higui verteidigte, als sie von einer Männergruppe attackiert und vergewaltigt wurde, scheint von der argentinischen Justiz ignoriert zu werden.
Higui ist lesbisch. Seit sie ein Teenager ist, wird sie in ihrer Nachbarschaft in Bella Vista, einem Vorort der Hauptstadt Buenos Aires, von Männern gemobbt, oftmals auf der Straße beschimpft. Oft warfen die Jungen im Quartier auch Steine nach ihr. Darum versteckte Higui am 16. Oktober 2016 ein Taschenmesser zwischen ihren Brüsten, als sie ihr Haus verließ – wie sie das immer tat.
Angreifer tot, Opfer bewusstlos
Kaum war die Frau ein paar Schritte gegangen, traf sie auf eine zehnköpfige Gang. Sie kannte die Männer. «Lesbe, ich werde dich zur Frau machen», sagte einer. Dann begannen alle, Higui zu schlagen.
Cristian Espósito riss ihr die Hosen ab, um sie zu vergewaltigen. In dem Moment holte Higui das Messer aus ihrem BH und stach es in die Brust des Angreifers. Der Mann starb noch auf dem Trottoir, die anderen flüchteten. Higui verlor das Bewusstsein.
Die Justiz will dem Opfer nicht glauben
Die Polizei nahm sie fest und die Staatsanwaltschaft beschuldigte sie des Totschlags. Ihrer Aussage schenkten die Behörden keinen Glauben. «Wer will dich schon vergewaltigen wollen, du bist ja so hässlich», sagte einer der Polizisten zu ihr.
Die Ermittler schenkten der Version zweier Zeugen Glauben, die erzählten, Higui und Espósito hätten an jenem Abend Streit gehabt und die Frau habe ihn einfach erstochen. «Der Fall ist klar», sagt Staatsanwalt Ignacio Correa zu «El Pais».
Warum muss Higui bis zum Prozess in Haft bleiben?
So klar ist er aber nicht. Bei einer medizinischen Untersuchung kurz nach der Attacke bescheinigte eine Ärztin die Verletzungen an Higuis Körper – Blutergüsse an den Armen und ein geschwollenes Gesicht.
Auch die Aussagen der beiden Zeugen sind fragwürdig: Beide sind Mitglieder der Männergang. Higuis Kleider, an denen möglicherweise DNA-Spuren der Täter haften, wurden zur Analyse in ein Labor geschickt — die Resultate lassen aber immer noch auf sich warten. «Das zeigt, wie unseriös ermittelt wird», sagt Higuis Anwältin Raquel Leyenda.
Sie versucht, Higui frei zu bekommen. Das sei ein Fall von Selbstverteidigung und ihre Mandantin müsste auf freiem Fuß sein, bis der Prozess beginnt, sagt sie. «Andere ähnliche Fälle, in denen Männer involviert sind, laufen ganz anders ab. Die sind alle frei», erklärt Leyenda dem Frauenportal «Cosecha Roja».
In der kommenden Woche muss ein Richter entscheiden, ob er Higui bis zum Prozess freilässt. Die Frauengruppierung «Ni una menos» (Nicht eine weniger), die auf die Gewalt gegen Frauen in Lateinamerika aufmerksam macht, hofft, dass es diesmal klappt. Vorsichtshalber halten Demonstrantinnen ihre Plakate mit der Aufschrift «Freiheit für Higui. Attackiert, weil sie lesbisch ist, in Haft, weil sie sich verteidigte» schon bereit.
(L'essentiel/kle)