Grundeinkommen in Finnland«Ich bin befreit vom Sklaven-Dasein»
Der sechsfache Vater Juha Järvinen ist einer von 2000 arbeitslosen Finnen, die in den nächsten zwei Jahren ein bedingungsloses Grundeinkommen erhalten.

Juha Järvinen feiert dieses Jahr doppelt Weihnachten: Ende Dezember erhielt der Finne den Bescheid, dass er zu der Gruppe von 2000 Arbeitslosen gehört, die am landesweiten Experiment mit dem bedingungslosen Grundeinkommen teilnimmt. «Als ich den Brief von der Kela sah, schrie ich nur: Yes!», erzählt er finnischen Medien.
Kela ist das finnische Sozialversicherungsamt, das zusammen mit drei Universitäten das Pilotprojekt leitet. Das Ziel des «spektakulären, aber akademischen Experiments»: Die hohe Arbeitslosenquote von gut acht Prozent senken, indem für Arbeitslose Anreize für den schnellen Eintritt ins Erwerbsleben geschaffen werden.
Bislang schreckten viele Finnen davor zurück, denn mit der Annahme eines temporären oder schlecht bezahlten Jobs wurden auch die Sozialleistungen gekürzt, das Gesamteinkommen verringerte sich oft. «Wenn mir jetzt eine temporäre Arbeit angeboten wird, kann ich zusagen», sagt Järvinen. «Zuvor musste ich aufgrund der Kürzungen bei den Leistungen ablehnen. Aber ich will arbeiten. In der Vergangenheit fühlte es sich aber an, als würde ich bestraft, wenn ich arbeite.»
«Nur herumliegen und Wodka trinken hält keiner aus»
Das finnische Experiment mit dem Grundeinkommen sei eine richtige und nötige Antwort auf die sich verändernde Arbeitswelt mit all den Automatisierungen – obwohl «viele denken würden, dass wenn man ein Grundeinkommen erhalte, man nur noch Spaß haben, auf dem Sofa herumliegen und Wodka trinken könne.» Auf die Dauer halte das aber keiner aus, so Järvinen, denn die Menschen seien soziale und aktive Wesen, die arbeiten wollten, um sich mehr leisten zu können.
Järvinen erhält mit dem 560-Euro-Grundeinkommen, das seit Montag ausbezahlt wird, zwar 90 Euro weniger als zuvor über die Sozialleistungen. Das nimmt er aber gerne in Kauf: «Das Grundeinkommen erlaubt es mir, wieder ins normale Leben zurückzufinden. Da mir so der Rücken gestärkt wird, kann ich Dinge wieder freier ausprobieren und habe mehr Alternativen.»
Firmenkonkurs mit sechs Kindern
Er schätze ein einfaches Leben und sei ein Künstlertyp, der immer wieder neue Ideen habe, kreativ immer aktiv sei, schreibt er über sich in etwas holprigem Englisch auf Facebook. «Deswegen bedeutet mir der Test mit dem Grundeinkommen vielleicht auch mehr als anderen.» Dass der Finne nicht auf der faulen Haut herumliegt, davon zeugt seine Facebook-Seite. Fotografie und das Bauen von Ledertrommeln scheinen zu seinen vielen Leidenschaften zu gehören.
Der Mann aus der westfinnischen Stadt Kurikka ist der ideale Teilnehmer für das Projekt: Er hat sechs Kinder, seine Frau arbeitet als Krankenschwester. Auf staatliche Unterstützung ist er angewiesen, seit seine Firma für dekorative Fensterrahmen vor fünf Jahren Konkurs ging.
«Ich fühle mich wieder wie ein mündiger Bürger»
Die monatlichen 560 Euro allein reichen der Großfamilie nicht. Doch bringe das Zusatzeinkommen eine große Erleichterung und werde hauptsächlich für die täglichen Lebensmitteleinkäufe verwendet. Jetzt müsse er sich nicht mehr konstant um die Besorgungen des Lebensnotwendigsten sorgen. «Ich fühle mich wirklich wieder als mündiger Bürger, ich bin befreit vom Sklavendasein in diesem dummen System, das versucht, Arbeitslosen Jobs aufzudrängen, die es gar nicht mehr wirklich gibt.»
Nebst den jetzt ins Auge gefassten Temporärjobs will Järvinen wieder ein eigenes Unternehmen aufbauen. «Jetzt kann ich das wagen. Jetzt habe ich nicht mehr das Gefühl, die Zukunft meiner Kinder aufs Spiel zu setzen.»
Diese Pläne müssen aber noch warten: Järvinen weilt derzeit in Afrika – und verrichtet unbezahlte Freiwilligenarbeit.
(L'essentiel/gux)
Das Pilotprojekt
Finnland will herausfinden, ob ein Grundeinkommen das Sozialsystem vereinfachen kann. 2000 zufällig ausgewählte Arbeitslose im Alter zwischen 25 und 58 Jahren sollen ab Januar anstelle von Arbeitslosengeld 560 Euro im Monat bekommen, ohne dass Bedingungen daran geknüpft sind. Die liberal-konservative Regierung wagt diesen Versuch, weil Finnland die Wirtschaftskrise nicht wirklich überwunden hat. Es gibt viele Arbeitslose, der Arbeitsmarkt ist im radikalen Umbau und das Sozialsystem kompliziert und unflexibel.
«Wir müssen kreativ sein, was soziale Neuerungen angeht», sagt Ex-Wirtschaftsminister Olli Rehn, einer der Väter dieses Versuchs. «Vor allem müssen wir einen Weg finden, der übergroße Einkommensunterschiede verhindert. Außerdem brauchen wir ein vereinfachtes System der sozialen Sicherheit. Und die Leute müssen ermuntert werden, zu arbeiten oder Unternehmen zu gründen.» Umfragen zufolge sind über zwei Drittel der Finnen für ein bedingungsloses Grundeinkommen.