Jean-Claude Juncker«Ich habe zu viel Zeit mit Politik verbracht»
LUXEMBURG – Jean-Claude Juncker, ehemaliger Premierminister Luxemburgs und Präsident der EU-Kommission, hat bei «L'essentiel» Klartext geredet.

Jean-Claude Juncker in der «L'essentiel-Redaktion», mit Emmanuel Fleig (rechts), Geschäftsführer von «L'essentiel», und Chefredakteur Saïd Kerrou (links).
Während er durch die Luxemburger Medienlandschaft tourt, hat Jean-Claude Jucker auch einen Stopp bei L'essentiel Radio eingelegt. Ob sich der einstige Präsident der Europäischen Kommission eine Rückkehr auf das politische Parkett Luxemburgs vorstellen kann? «Die jüngere Generation stellt mir diese Frage oft, und das ist sehr schön», erzählt der Mann der das Großherzogtum von 1995 bis 2013 regierte.
«Ich kann nicht zurück in die Politik gehen. Ich habe damit viel Zeit verbracht, manchmal dachte ich auch zu viel Zeit. Ich interessiere mich immer noch für Politik. Ärger und Begeisterung überwältigen mich hin und wieder, aber ich halte den Mund. Manche bitten mich um Rat, «privatissiomo». Ich gebe ihnen den, den ich ihnen geben kann. Aber unaufgefordert gebe ich keine Ratschläge.»
«Unsere Regierung versucht das Richtige zu tun»
Ob es die Partei von Jean-Claude Juncker, die CSV, schaffen wird, ohne ihren «historischen» Vorsitzenden am Ball zu bleiben? «Meine Partei ist immer kritisiert worden, sie sei eine Partei, die nur wegen Juncker existiert. Was nie der Fall war. Nun heißt es, der Partei fehle der Kopf... Nein, angesichts der schwachen Konkurrenz wird die Partei Wege finden, die es erlauben die führende Partei im Land zu bleiben. Bei den letzten Wahlen waren wir mit Abstand die stärkste Partei, aber die anderen haben beschlossen, uns auf den Oppositionsbänken gefangen zu halten. Es ist ein bisschen traurig, aber so ist es nun einmal.»
Zur Corona-Krise hielt sich Juncker bedeckt. «Ich habe nicht die Arroganz, das Vorgehen der Luxemburger Regierung zu kommentieren.» «Ich kritisiere nie meine Vorgänger und meine Nachfolger», fügt er hinzu. «Sie versuchen in der Gegenwart zu reagieren und machen Fehler bei der Einschätzung, aber das ist ähnlich bei den Regierungen der Nachbarländer. Mit Feuer und Eifer versuchen sie das Richtige zu tun.»
Auf dem Weg zu einer Europäischen Steuerunion?
Nach LuxLeaks im Jahr 2014 ist Luxemburg Anfang Februar 2021 erneut ins Visier genommen worden. Die «OpenLux»-Studie, die von 17 Medien durchgeführt wurde, präsentierte das Bild einer Steueroase. «Es ist ein bisschen unsere Schuld», gab der ehemalige Premierminister bei L'essentiel Radio zu. «Ich war Finanzminister, und alle, die mit mir im Regierungsboot saßen, wissen ganz genau, dass ich immer gegen diese Annehmlichkeiten gewesen bin, die die Luxemburger Banker meinen, umsetzen zu können. Sich auf dem Rücken der Nachbarländer zu bereichern, war noch nie meine Sache.»
«Ich hatte im Europäischen Parlament für die Idee der Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung plädiert und
zusammen mit dem französischen Kommissar Pierre Moscovici habe ich 24 Richtlinien zur Steuerharmonisierung auf den Weg gebracht. Ja, ich glaube, dass wir den Internet-Giganten Mindeststeueranforderungen auferlegen müssen. Wir müssen uns auf eine gemeinsame Bemessungsgrundlage für die Unternehmensbesteuerung einigen. Das muss getan werden», positionierte sich Jucker.

Monica Semedo soll nicht durch den Dreck gezogen werden
Was denkt Jean-Claude Juncker über den Fall der luxemburgischen Europaabgeordneten Monica Semedo, die wegen Mobbings zehn Tage von ihren Aufgaben suspendiert wurde? «Ich habe das nicht ganz verstanden», gab der ehemalige Kommissionspräsident zu. «Ich kenne sie gut. Ich kannte sie schon als Kind, weil sie zum 75. Geburtstag meines Schwiegervaters gesungen hat, der dieses junge Kind, das unverschämt gut singen konnte, sehr mochte.»
«Ich weiß nicht, was ihr vorgeworfen wird», fuhr Jean-Claude Juncker fort, «denn soweit ich weiß, ist die Arbeit, die sie im Europäischen Parlament betrifft, geheim geblieben, so dass ich mich zum Inhalt der Angelegenheit nicht äußern kann. Aber ich möchte trotzdem empfehlen, dass wir als nationale Institution niemanden durch den Dreck ziehen, der auf dem Boden liegt. Sie hat es nicht verdient so behandelt zu werden, und ich akzeptiere die rassistischen Bemerkungen, die über sie gemacht werden, überhaupt nicht. Das ist widerlich».

(L'essentiel)