Ein Schuldner erzählt«Ich hatte bei jeder Bank einen Kredit»
LUXEMBURG – Bis Jahresende soll in Luxemburg die Privatinsolvenz eingeführt werden. Ein ehemaliger Schuldner, der 180 000 Euro Miese hatte, begrüßt das.

Ein Schuldnerberater rechnete die Ausgaben und Einkünfte von Jeannot Wagner aus. Er hatte in Wirklichkeit mehr Miese, als er gedacht hatte.
Der Kauf einer Wohnung brachte Jeannot Wagner (Name von der Redaktion geändert) vor einigen Jahren den finanziellen Ruin. «Ich habe immer gut verdient, aber dann wurde meine Frau krank, so dass ihr Gehalt wegfiel. Zudem fingen zwei meiner Kinder an zu arbeiten und das Kindergeld bekam ich dann auch nicht mehr», erzählt der Luxemburger. 180 000 Euro häufte er an, acht verschiedene Darlehen hatte er abzubezahlen. «Ich hatte bei jeder Bank einen Kredit. Das ging ganz leicht. Sie haben zwar nach Schulden gefragt, das aber nie überprüft», erzählt er.
Jeannot Wagner verlor den Überblick: «Briefe habe ich aus Angst nicht mehr geöffnet. Ich habe das Problem ignoriert. Das war ein großer Fehler». Doch irgendwann half auch das Wegschauen nicht mehr. Jeannot Wagner holte sich bei der Schuldnerberatung der «Ligue médico-sociale» Hilfe. «Das war ein Gang nach Canossa, weil ich nicht wusste, was mich erwartet», erinnert er sich. Und die Überraschung sei groß gewesen, als sein Berater ihm vorrechnete, welche Geldsumme er wirklich zurückbezahlen musste - natürlich mehr als erwartet.
Zahl der Freunde nahm ab
Wagner blieb nichts anders übrig, als sein Appartement zu verkaufen und in eine Mietwohnung zu ziehen. Damit war er seine Geldsorgen nach sieben Jahren los. Zwischenzeitlich hatte sich auch sein Freundeskreis reduziert. «Heute wissen nur zwei bis drei Freunde, was mir passiert ist», erzählt er. «Ich habe mich selbst distanziert.» Unschön sei jedoch gewesen, dass wegen einer Lohnpfändung die Arbeitskollegen von seinem Problem erfuhren. «Ich wurde im Job schief angeschaut und bekam blöde Sprüche zu hören. Das tat weh», sagt er. Seine Kinder erlebten die Zeit ebenfalls mit: «Unser Kühlschrank war damals leer. Restaurants oder Ausflüge mit der Familie waren nicht drin».
Seit einigen Jahren lebt Jeannot Wagner schuldenfrei. «Heute geht es mir gut. Ich lebe so, wie ich es mir gewünscht habe. Ich passe darauf auf, was ich ausgebe», sagt er. Die Möglichkeit, als Privatperson Insolvenz anmelden zu können (siehe Infobox), würde er begrüßen. «Vielleicht hätte ich dann mein Appartement nicht verkaufen müssen».
Kerstin Smirr/L'essentiel Online
Was ist die Privatinsolvenz?
Die luxemburgische Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, bis Ende des Jahres die Privatinsolvenz einzuführen. Personen, die ihre Schulden auf lange Sicht nicht abbezahlen können, sollen so die Möglichkeit erhalten, nach einigen Jahren wieder schuldenfrei zu leben.
In vielen anderen europäischen Ländern besteht diese Möglichkeit bereits, seit 1999 unter anderem in Deutschland. Dort muss ein Schuldner sechs Jahre lang den pfändbaren Teil seines Einkommens und Vermögens an einen Treuhänder abgeben, der dieses Geld dann an die Gläubiger weiterleitet. Danach kann der Betroffene beantragen, dass er von seiner Restschuld befreit wird. Die Gläubiger bleiben häufig auf ihren ausstehenden Beträgen sitzen. Das Verfahren unterliegt zahlreichen Regeln und Bedingungen.
Wie hoch verschuldet sind Luxemburger?
Sechs von zehn Haushalten zahlten 2008 in Luxemburg einen Kredit zurück. Am häufigsten sind Immobilien- (42 Prozent) und Verbraucherkredite (41 Prozent), zum Beispiel für den Kauf eines Autos.
Im Großherzogtum sind drei Prozent aller Haushalte überschuldet. Dies bedeutet, dass sie in den vergangenen zwölf Monaten verschiedene Rechnungen nicht direkt begleichen konnten. Bei der Schuldnerberatungder Ligue médico-sociale (LMS) für den Norden und das Zentrum des Landes werden 2011 gut 500 neue Überschuldungsfälle eingehen. 2010 waren es ebenso viele. Inter-Actions im Süden des Großherzogtums hat 2011 bereits 148 Fälle von Überschuldung registriert.