Tägliche ÜberschwemmungenJapan durch Beben einen Meter abgesackt
Das Erdbeben im Osten Japans am 11. März war dermaßen gewaltig, dass das ganze Land ein Stück meerwärts verschoben und bis zu einem Meter tiefer gedrückt wurde.

Täglich zweimal Hochwasser in Japan: Das ganze Land hat sich gesenkt.
Wenn die ersten Rinnsale über die Straßen ihres Viertels sickern, weiß Yoshiko Takahashi, dass es Zeit ist, schleunigst nach Hause zu gehen. Zwei Mal am Tag steigt das Wasser stetig, bis es kniehoch steht, Fische und Treibgut an die Haustüren schwappen und die Einwohner des Küstenorts daheim festsitzen. Wer noch unterwegs ist, platscht in Gummistiefeln oder auf dem Fahrrad durch die Fluten. «Ich schaue aus dem Fenster, und es sieht aus, als ob unsere Häuser mitten im Ozean stehen», sagt Takahashi, die erst vor drei Jahren hergezogen ist.
Das Erdbeben im Osten Japans am 11. März war dermaßen gewaltig, dass das ganze Land ein Stück meerwärts verschoben und tiefer gedrückt wurde. Wegen der Absenkung und der Beschädigung der Flutmauern durch den Tsunami dringt die See jetzt regelmäßig in die am schlimmsten betroffenen Orte an der Küste vor. In Hafenstädten wie Onagawa und Kesennuma fluten die Gezeiten zwischen eingestürzten Wohn- und Lagerhäusern durch die leeren Straßen.
Um 15 Uhr kommt die Überschwemmung
Einige Viertel in Ishinomaki sind dank ihrer Lage der Naturkatastrophe unbeschadet entgangen. Daher konnten viele Einwohner in ihren Häusern bleiben und erleben jetzt jeden Tag die gleiche Plage: Bei Flut kommt das Wasser, und jeder sieht zu, dass er es noch rechtzeitig nach Hause schafft.
«Ich versuche, alle meine Einkäufe und Besorgungen bis drei Uhr nachmittags zu erledigen», berichtet Takuya Kondo, der mit seiner Familie in seinem Elternhaus lebt. An die meisten Häuser reicht das Wasser nicht heran, aber Autofahren ist unmöglich und die Kanalisation läuft voll, so dass die Toiletten nicht zu benutzen sind.
Landstrich auf einmal abgesackt
Schuld an der Situation ist die Lage Nordjapans in einer Zone, wo die Nordamerikanische und die Pazifische Platte aneinanderstoßen. Die dabei entstehende Spannung entlud sich bei dem Beben am 11. März. Die Ränder der Platten schoben sich übereinander. Der Meeresboden hob sich um bis zu fünf Meter, was den verheerenden Tsunami auslöste, und die Landmasse wurde nach unten gezogen.
Einige Gegenden in Ishinomaki bewegten sich gut fünf Meter Richtung Südosten und sackten gut einen Meter ab. «Wir nahmen an, dass diese Verschiebung allmählich vor sich gehen würde, Stück für Stück. Wir rechneten nicht damit, dass alles auf einmal passieren würde», sagt der Wissenschaftler Testuro Imakiire von der Geospatial Information Authority, der Behörde für Geodaten und -informationen.
Telefonleitung auf Kopfhöhe
Das Beben sei so gewaltig gewesen, dass erstmals seit Beginn der Messungen Ende des 19. Jahrhunderts die gesamte Landmasse verschoben wurde. Selbst in Tokio, 340 Kilometer von Ishinomaki entfernt, sind Teile der Stadt 24 Zentimeter weiter Richtung Meer gerückt.
Der Einbruch war um Ishinomaki, der dem Epizentrum am nächsten gelegenen Gegend, am ausgeprägtesten. Von unterirdisch verlaufenden Rohren gestützte Einstiegschächte ragen aus abgesackten Straßendecken hervor, Telefonmasten sind so weit eingesunken, dass die Leitungen auf Kopfhöhe hängen.
Keine Entschädigungen
Während ringsumher Trümmer geräumt und Pläne für den Wiederaufbau gemacht werden, hängen die Anwohner der unzerstörten Viertel von Ishinomaki in der Luft. Weil ihre Häuser größtenteils heil geblieben sind, haben sie keinen Anspruch auf große Versicherungsleistungen oder staatliche Entschädigung, und doch setzt die Flut jeden Tag zwei Mal die Straßen unter Wasser.
Die Verwaltung hat mit Arbeiten an einigen Dämmen begonnen, doch angesichts des Ausmaßes der Zerstörung in der Stadt sind die Mittel knapp. «Wir werden vielfach aufgefordert, diese Gegenden wieder herzurichten, aber wir haben jetzt eigentlich kein Geld dafür», erklärt Kiyoshi Koizumi vom Straßen- und Tiefbauamt der Stadt. Er hofft aber, dass ihnen bald etwas einfällt: In ungefähr einem Monat beginnt die sommerliche Regenzeit, und im Herbst wird die Flut so hoch steigen, dass sie auch sein eigenes Haus überschwemmt.
L'essentiel Online/dapd