«Nauru Files»Kindsmissbrauch und Gewalt in Flüchtlingslager
Die Zustände in einem von Australien errichteten Flüchtlingslager auf der Pazifikinsel Nauru sind skandalös. Das enthüllen geleakte Dokumente.

Australiens Flüchtlingspolitik ist so restriktiv wie in kaum einem anderen Land. Seit Jahren interniert die Regierung Asylbewerber in Lagern auf weit entfernten Pazifikinseln, bis ihr Asylgesuch bearbeitet wird. Nun publizierte, geheime Berichte offenbaren, wie katastrophal die Situation auf der Insel Nauru ist. In mehr als 2100 Dokumenten ist die Rede von Suizidversuchen sowie von Kindsmissbrauch und Schikanen durch das Personal, berichtet der «Guardian», dem die Daten zugespielt wurden.
Die «Nauru Files» umfassen 8000 Seiten, in denen Mitarbeiter des Lagers einen Einblick in die Zeit von Mai 2013 bis Oktober 2015 geben. In diesem Zeitraum soll es mindestens sieben Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern gegeben haben, darüber hinaus habe es 59 andere Missbrauchsfälle bei Minderjährigen, rund 30 Fälle von absichtlicher Selbstverletzung und 159 Fälle von angekündigter Selbstverletzung bei Kindern gegeben, heißt es. Mehr als die Hälfte der beschriebenen Vorkommnisse betreffen laut der britischen Zeitung Kinder, obwohl diese nur 18 Prozent der auf Nauru untergebrachten Flüchtlinge ausmachen.
Mädchen näht sich Mund zu
Den Berichten zufolge schnitt sich eine Migrantin die Handgelenke auf, eine andere Frau versuchte, sich mit einem Seil zu erhängen. Im April dieses Jahres zündete sich ein Iraner an und erlag seinen Verletzungen. Im September 2014 lief laut Augenzeugen ein Mädchen, das sich den Mund zugenäht hatte, durch das Lager und wurde von Aufsehern ausgelacht. Wenige Monate zuvor ist ein Fall dokumentiert, bei dem sich ein unter zehnjähriges Mädchen auszog und Erwachsene aufforderte, ihm Finger in die Vagina zu stecken.
Laut den Nauru Files werden die Flüchtlinge in dem Lager massiv durch das Personal schikaniert. So habe ein Aufseher längeres Duschen nur gegen sexuelle Gefälligkeiten bewilligt. Er wollte den Kindern beim Duschen zusehen. Ein anderer Sicherheitsmann habe einem Jungeen gedroht, ihn umzubringen. Mehrere Angestellte sollen Kinder ins Gesicht geschlagen haben. Einer Frau sei von einem Sicherheitsmann gesagt worden, er werde sie schwängern, wenn sie das Lager verlassen dürfe. Mehrere Busfahrer sollen von Migrantinnen voyeuristische Fotos gemacht haben.
«Selbstverletzung und Suizidversuche häufen sich nach sechs Monaten in Verwahrung», zitiert der Guardian den Arzt Peter Young, der früher medizinischer Direktor für mentale Gesundheit im australischen Migrations-System war. Grund dafür sei vor allem die Hoffnungslosigkeit der festgehaltenen Menschen.
Die Recherchen der Zeitung werden nur wenige Wochen nach dem Skandal um ein australisches Jugendgefängnis publik. Dort waren mehrere Insassen, vor allem Aborigines, schwer misshandelt worden.
Steuerzahler kosten die Lager Milliarden
In dem Lager auf Nauru leben rund 440 Flüchtlinge, die per Boot nach Australien kamen. Auf der Insel Manus im Norden von Papua-Neuguinea sind etwa 850 Migranten untergebracht. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International prangern die Zustände dort seit langem an. Den Aktivisten zufolge wird den Menschen oft medizinische Hilfe verweigert, sie werden im Unklaren über die Bearbeitung ihres Verfahrens gelassen und sie stehen in Ungnade bei den Inselbewohnern.
Die Regierung in Canberra will den Vorwürfen auf den Grund gehen. Doch die Betreiberfirma des Lagers hatte in der Vergangenheit schon öfter beteuert, Missstände beseitigen zu wollen. Passiert ist offenbar wenig. 2015 gab es sogar noch mehr Vorfälle als 2013.
Seine Flüchtlingspolitik wird Australien aber kaum ändern. Das Land bezahlt Nauru und auch Papua-Neuguinea dafür, die Migranten auf die Inseln abzuschieben. Den australischen Steuerzahler kosten die Lager laut Guardian umgerechnet rund 1,2 Milliarden Euro pro Jahr.
(L'essentiel/mlr)