«Rocky Horror Show» – Liebestolles Alien bringt Publikum zum Ausflippen

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«Rocky Horror Show»Liebestolles Alien bringt Publikum zum Ausflippen

ESCH/BELVAL – Strapse, Trash und Rocksongs: Frank’n’Further und seine Musical-Konsorten landen Freitag bis Sonntag in der Rockhal.

Einmal aller paar Jahre darf der Zuschauer im Theaterraum oder im Konzertsaal so richtig ausflippen und all das machen, was sonst verpönt ist und möglicherweise mit einem Rauswurf enden würde: Laute Kommentare abgeben, Textzeilen reinschreien, zur Musik mittanzen, Sitznachbarn mit einer Wasserpistole nass spritzen und natürlich mit Klopapier und Konfetti um sich werfen. So werden die Aufführungen der «Rocky Horror Show» regelmäßig zur losgelassenen Mitmachparty, bei der sich die Schauspieler wie Partymacher fühlen und nach der die Putzkräfte wohl eine Sonderschicht einlegen müssen.

Spießer treffen sexgeilen Transvestiten

Von Freitag bis Sonntag macht das Musical, in der Inszenierung von B&B Promotion, Station in Luxemburg. Unter der Leitung von Regisseur Sam Buntrock kommt das verrückte Kult-Musical in die Rockhal und wird auch dort die üblichen Aufführungs-Maßstäbe außer Kraft setzen: «Wenn das Publikum boring ruft, weiß ich, dass die Show funktioniert», sagte Buntrock bei der Premiere in Köln. Allerdings blieb der große Run auf die Karten aus: Die Veranstalter hatten drei Tage vor Beginn noch keine der drei Aufführungen ausverkaufen können.

Die «Rocky Horror Show» persifliert alte Science-Fiction-Klassiker und verbeugt sich gleichzeitig vor der Trashkultur der B-Movies: Ein amerikanisches Teenie-Spießerpärchen landet in einem mysteriösen Schloss, wo ein außerirdischer Transvestit gerade à la Doktor Frankenstein einen Menschen erschafft. Natürlich ist es eine stürmische Unwetternacht, natürlich ist Butler Riff-Raff höchst absonderlich, und natürlich verhält sich Hausherr Frank’n’Further äußerst geheimnisvoll. Dem just zum Leben erweckten Rocky droht nur eine Karriere als Lustobjekt. Und weil Verführung und Morden zu den Lieblingsbeschäftigungen des bedrohlichen wie anziehenden Frank’n’Further zählen, gerät bald alles so ziemlich außer Kontrolle.

Serge Tonnar als Erzähler

Die Fans dürfen sich auf extravagante Kostüme, werkgetreue und dennoch neue Bühnenbildideen, gute Sänger und sogar über Live-Musik freuen. Bekannt wurde das 1973 uraufgeführte Musical durch die gelungene Verfilmung aus dem Jahr 1975. Darin stolzieren Susan Sarandon und Tim Curry in Korsagen und Stöckelschuhen über die Leinwand, Meatloaf glänzt in einem Kurzauftritt.

Zum Konzept der Show gehört es mittlerweile, die Rolle des Erzählers von einer Berühmtheit der Region spielen zu lassen. In Deutschland ist dies mancherorts der Schauspieler Sky du Mont, im Großherzogtum wird dies Serge Tonnar übernehmen. Der luxemburgische Schauspieler, Schriftsteller, Musiker, Komponist, Musikproduzent und Kabarettist will seine Rolle in Luxemburgisch spielen. «Ich denke, dass erwartet man von mir als luxemburgischen Liedermacher», sagte Tonnar auf Anfrage.

Tonnar hat die Filmmusik zu mehr als zehn luxemburgischen Filmproduktionen komponiert. Bekannt ist er auch für seine Musik mit den Gruppen Blue Screw, Battaklang, Taboola rasa, Zap Zoo, Legotrip und Luna boots.

Mehr drin für Schauspielerinnen

Es ist ein erfreuliches Plus dieser Inszenierung von «Rocky Horror Show», dass sie den weiblichen Parts von Groupie Columbia und Dienstmädchen Magenta mehr Präsenz gibt. Die Darstellerinnen haben ihre Charaktere vor allem stimmlich komplexer gestaltet, als es im Film der Fall ist. Columbia bestreitet den Time Warp, den ersten großen Hit im Schloss, als Pin-up-Girl mit Rock’n’Roll-Lederjacke – das Kostüm passt besser ins Rocky-Universum und hebt sich vom Film ab. Sie wird in die traurig-hoffnungsvolle Solo-Nummer von Brad «Once in a While» eingebunden – ebenfalls ein Unterschied zum Film. Hier torkelt das liebeskranke Groupie als kummervolle und clowneske Trinkerin durch die Nummer. Im Song «Eddie’s Teddy» beweist sie wiederum viel Fähigkeit zur Stimmvariation und singt sicher in den hohen Oktaven. Und weil bei der «Rocky Horror Show» das Spaß im Vordergrund steht, zieht sie ihr helles Liebeskummer-Schluchzen tonsicher ins Lächerliche.

Maria Franzén, welche in der Kölner Besetzung Magenta singt, beeindruckt mit ihrer Stimme gleich im Intro «Science Fiction-Double Feature». Durch bedachte Akzentuierungen und wiederholte Rhythmuswechsel gibt sie dem Eröffnungsstück eine eigene, leidenschaftliche Note. Und wer ein paar der alten Horrorfetzen aus den 30er oder 50er Jahren kennt, wird bei diesem gesungenen Abriss der frühen Horrorfilm-Geschichte voller Anspielungen sowieso seine Freude haben. Flash Gordon in silberner Unterwäsche, eine unglaublich heiße Janett Scott. Aber die «Rocky Horror Show» macht ja sowieso umso mehr Spaß, je besser man die mal trashigen, mal versauten, mal poetischen Texte kennt. Unterstützt werden die durchweg begabten Sänger von einer Live-Band aus einer Gitarre, einem Bass, zwei Keyboardern, einem Saxophon und einem Schlagzeug. Auch das ist nicht bei jeder Inszenierung dieses Kult-Musicals selbstverständlich. Die musikalische Umsetzung ist insgesamt sehr satt und voll.

Wühlen im Filmfundus

Da dieses Musical Bezüge zu alten Gruselfilmklassikern und Horror-B-Movies nimmt, ja die vergnüglichsten und abgründigsten Elemente dieser alten Fetzen zu einem verrückten Spaß zusammenspinnt, sollten Kostüm- und Bühnenbild diese Verwandtschaft aufgreifen. Tun sie auch. Das Schloss, der Frankenstein Place, erinnert an eine Mischung aus Norman Bates Wohnhaus und der Residenz der Addams Family und wird als altmodische Filmprojektion in die Szene geworfen. Filmfans werden entzücken, wenn Diener Riff-Raff auftritt: Als er Brad und Janet ins Schloss bittet, lässt er seine Hände, lange Nägel und gierige Finger, unheilvoll im Türspalt tanzen. Eine kleine Hommage an Max Schrecks Vampirfigur aus dem Stummfilmklassiker «Nosferatu».

In Verzückung geraten Filmfreaks höchstwahrscheinlich in der Schlussszene. Natürlich hat man schon längst Gefallen an den Kostümen von David Farley gefunden. Janets blau-weiß-kariertes Spießerkleidchen ist ebenso treffsicher wie Magentas sexy Dienstmagd-Aufmachung oder die burlesken Louis-XVI-Roben der Schlossbewohner. Riff-Raff und Rockys Aufzüge hingegen orientieren sich ziemlich nah an den erprobten Filmkostümen.

Wenn Frank’n’Further seinen großen divenhaften Auftritt in «Don’t dream it, be it» singt, hat Kostümdesigner David Farley den Hommagevogel abgeschossen: Nachdem es der außerirdische Transvestit in so vielen Inszenierungen besungen hat, trägt er nun ein enges, weißes Glitzer-Kleid samt blonden Wasserwellen. Wie Hauptdarstellerin Fay Wray im Filmklassiker «King Kong». Die Fans des Kultmusicals werden innerlich vor Freude ausrufen: Endlich, endlich, endlich! Natürlich darf dabei auch nicht die King-Kong-Hand aus Pappmaschee fehlen. Um der Hollywood-Hommage die Krone aufzusetzen, wird die Choreografie von großen, flauschigen Federfächern begleitet. Tanzfilmstar Ginger «Feathers» Rogers lässt lieb grüßen. Auch wenn Franks breite Schultern jegliche Damengrößen sprengen, ist diese Choregografie wegen ihrer Originalität und ihrer Werktreue ein Schatz dieser Inszenierung.

Ein bisschen Curry, Tim Curry

Kostüme hin, Musik her. Jede Rocky-Horror-Show-Aufführung steht und fällt mit ihrem Frank’n’Further. Allerdings gelang Schauspieler Tim Curry 1975 in der Verfilmung die perfekte Verkörperung des liebestoll-tragischen Alien-Transvestiten mit dem Hang zu Frauenreizwäsche. An diese lassiven Blicke, die wunderbar tiefe Stimme und erotischen Bewegungen ranzukommen und dabei auch noch eine eigene Interpretation abzugeben, ist alles andere als einfach. Zumal die Fans den Film zumeist schon x-mal gesehen und auch schon mehrere Aufführungen besucht haben.

Hauptdarsteller Rob Fowler weiß, was die Fans von der Hauptfigur erwarten: «Ein bisschen Tim Curry ist immer drin, das wollen die Leute aber auch sehen». Fowler gibt seinem Frank viele Facetten: Sein außerirdischer Transvestit ist erwartungsgemäß lüstern und grausam, natürlich auch kokett und exzentrisch. Aber er ist ebenso launisch, zickig, schadenfroh und eitel – das sind zu viele Charakterzüge, um die Figur greifbar zu machen. Auch wenn man bedenkt, dass ein Musical von Natur aus dick auftragen muss. Doch das ist eine Kleinigkeit, die das große Vergnügen an der Bühnenpräsenz und der breiten Stimmvariation von Rob Fowler sowie an der Show und an ihren Schauspielern insgesamt nur wenig schmälert.

Eine Botschaft, keine Botschaft

Aliens, jede Menge Strapse, knallrote Korsagen und doppeldeutige Verse – ist die «Rocky Horror Show» nur ein gute Laune-Vehikel? Für den 42-Jährigen Hauptdarsteller Rob Fowler bedeutet die skurrile und bizarre Geschichte mehr: «Die Message ist, Dont’t dream it, be it, aber mit Grenzen und ohne anderen weh zu tun».

Sky du Mont, der den Erzähler in einigen deutschen Aufführungen spielt, hat da aber eine andere Meinung: «Es gibt keine Message, wir unterhalten.» Und das verdammt gut. Kein Wunder, dass sich Regisseur Sam Buntrock mit seiner Inszenierung «wie ein Rockstar» fühlt. Der Zuschauer fühlt sich wie auf einer durchgeknallten Party im Tourbus seiner Lieblingsband.

(Sophia Schülke/L'essentiel)

Drei Aufführungen in Rockhal

Das Atelier präsentiert das Musical «Rocky Horror Show» an drei Abenden in Luxemburg: Freitag, Samstag und Sonntag, 27. und 28. Februar sowie 1. März. Gespielt wird jeweils in der Rockhal ab 20 Uhr. Die Karten kosten 56 oder 68 Euro.

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