Fotograf Francesco Zizola – «Manchmal weine ich hinter der Kamera»

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Fotograf Francesco Zizola«Manchmal weine ich hinter der Kamera»

Er gewann zahlreiche Preise, zuletzt für seine Serie «Im gleichen Boot». Ein Gespräch mit dem Kriegsfotografen Francesco Zizola.

Er fotografiert und oft schaut ihm dabei der Tod über die Schulter. So wie damals im Irak, als sein Dolmetscher angeschossen wurde. Francesco Zizola versuchte, die Blutungen des Mannes zu stoppen, ohne Erfolg. Ein Rebell nahm ihn auf dem Motorrad mit, sie fuhren durch ein Minenfeld, noch immer unter Beschuss. «Dass sie uns verfehlt haben, ist seltsam», sagt Zizola.

Der Italiener war so ziemlich überall auf der Welt – in Kriegsgebieten, in Slums, am Amazonas, wo er fast an Typhus starb. Ein starker Kontrast zu seinen Anfängen als Fotograf eines Gourmetmagazins. «Ich hockte von morgens bis abends in meinem Zimmer, weit weg von der wirklichen Welt, und fotografierte Mineralwasserflaschen», erzählte er der «Frankfurter Rundschau» einst.

Durchbruch mit Diktatorenfoto

Der Sprung ins kalte Wasser brachte gleich den internationalen Durchbruch: Zizola verkaufte sein Studio, reiste mit italienischen Jungkommunisten nach Nordkorea – und schaffte es als einziger westlicher Fotograf, Diktator Kim Jong-il abzulichten. Das Porträt kam auf die Titelseite von «Newsweek» und Zizola wurde zum gesuchten Fotografen großer Magazine. Mit jedem Salär finanzierte er sich eine neue Reise. Dabei mag der 54-Jährige das Reisen nicht einmal. «Es kostet mich jedes Mal Überwindung, meine vier Kinder zu verlassen», sagt er.

Zizola hat schon viele internationale Preise abgeräumt. Soeben nahm er für seine Serie «In the Same Boat» (im gleichen Boot) einen Preis des renommierten Wettbewerbs «World Press Photo» entgegen.

«Das Leid, die Erniedrigung, der Schmerz, die Gewalt»

Dafür war er im August letzten Jahres auf dem Rettungsboot Bourbon Argos von Ärzte ohne Grenzen (MSF) im Mittelmeer unterwegs. «Die Flüchtlinge stammten hauptsächlich aus Eritrea, Syrien, Somalia, Äthiopien, der Elfenbeinküste und Ghana», sagt der Italiener zu 20 Minuten. «In ihren Augen zeigte sich das Leid, die Erniedrigung, der Schmerz und die Gewalt, die sie über Monate ertragen hatten.»

Zizolas Markenzeichen: das Fotografieren mit Weitwinkelobjektiv. So kommt er nahe an seine Sujets heran, wirkt aber nicht aufdringlich. Diese Nähe ist es, die in der Serie «In the Same Boat» so intensiv auf den Betrachter wirkt. Verstärkt wird das noch dadurch, dass er Schwarzweißfilme verwendete. «Dies ermöglicht es, die Aufmerksamkeit voll und ganz auf das Wesentliche im Bild zu richten, ohne von anderen Komponenten abzulenken», sagt Zizola.

«Die Eigenschaft, die uns von Tieren unterscheidet»

Zizola glaubt, dass Medien heutzutage Pressefotos vor allem als «Instant»-Bilder einsetzen, die sich eben nicht ins Gedächtnis des Zuschauers einprägen. Damit werden die Bilder zu einer Konsumware. «Wir werden gefühllos, weil wir den tieferen Grund für unser Konsumverhalten nicht finden. Und währenddessen konsumieren wir weiter. An diesen Widerspruch will ich mich annähern.»

Auf den Namen seiner jüngsten Serie sei er gekommen, weil er an Bord der Argos realisiert habe, dass das Rettungsteam und die Migranten, die vor Krieg, Diktatoren und Armut flüchteten, nach der Rettung im wahrsten Sinn im selben Boot sitzen. «Das Menschsein ist der gemeinsame Nenner, und es ist ein Merkmal des Menschen, jenen zu helfen, die in Not sind. Es ist eine Eigenschaft, die uns von Tieren unterscheidet.»

«Manchmal weine ich hinter der Kamera»

Dass Menschen sich von Tiere mitunter nicht unterscheiden, hat Zizola mehrfach hautnah erlebt. Etwa als ihn Rebellen in Sierra Leone vor die Wahl stellten, getötet zu werden oder die Köpfung von Gefangenen zu fotografieren. Er fotografierte, bespritzt vom Blut der Geiseln – den Film warf er später weg.

Viele Fotoreporter nutzen die Kamera als Vehikel, um den Schrecken nicht zu nahe an sich herankommen zu lassen. Für Zizola funktioniert das nur bedingt. «Es ist nie einfach, Zeuge von extremem Schmerz zu sein», sagt er. «Ich fühle immer großes Mitgefühl, ob mit oder ohne Kamera. Manchmal weine ich hinter der Kamera.»

Fotografiert er, um etwas zu verändern? «Ich denke nicht, dass Fotojournalismus die Welt verändern kann», sagt Zizola. «Aber ich glaube an das, was der amerikanische Fotojournalist Eugene Smith einst sagte: ‹Fotografie könnte das kleine Licht sein, das uns ganz bescheiden dabei hilft, die Dinge zu ändern›.»

(L'essentiel)

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