Paulette Lenert«Menschen müssen immer als erstes geschützt werden»
LUXEMBURG – Die Gesundheitsministerin blickt im Interview auf die vergangenen Monate zurück und verrät, wie sie die Corona-Krise persönlich erlebt hat.

Paulette Lenert und Großherzog Henri statten dem CHL in Luxemburg-Stadt einen Besuch ab.
L'essentiel: Glauben Sie, dass die Corona-Krise im Großherzogtum bald zu Ende geht?
Gesundheitsministerin Paulette Lenert: Die Infektionszahlen waren in den vergangenen Wochen beruhigend. Dennoch bleibt das Risiko. Die Situation könnte sich jeder Zeit wieder verschlimmern. Das Virus könnte verschwinden, es könnte bald ein wirksames Medikament gefunden werden. Aber das ist Zukunftsmusik. Wir müssen weiterhin Geduld haben.
Was können die Bürger tun, um eine zweite Welle zu verhindern?
Solange das Virus noch da ist, müssen die bestehenden Regeln eingehalten werden. Es gilt den Sicherheitsabstand einzuhalten, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen und regelmäßig die Hände zu waschen. Außerdem ist es wichtig, sich zu merken, mit wem man wann Kontakt hatte. So können Infektionsketten schnell identifiziert werden. Wir raten deshalb auch dringend von großen Partys ab. Die Menschen dürfen Spaß haben, aber sie sollten dabei nicht unvorsichtig werden.
Befürchten sie einen neuen Lockdown, wie etwa im Großraum Lissabon oder in einigen Teilen Deutschlands?
Ich bin zuversichtlich, dass wir dies verhindern werden. Der großangelegte Massentest wird uns sehr dabei helfen. Ich kann mich nur wiederholen: Lasst uns solidarisch sein und weiterhin die Sicherheitsmaßnahmen umsetzen! Nur so können wir einen weiteren Anstieg der Infektionen verhindern.
Im internationalen Vergleich hat Luxemburg die Krise bisher gut gemeistert. Was hat das Land anders gemacht?
Wir haben schnell und entschieden gehandelt und hatten den Vorteil, dass wir sehen konnten, was in anderen Ländern geschieht, beispielsweise in Italien, das mit voller Wucht getroffen wurde. Außerdem hat sich gezeigt, dass unser Gesundheitssystem in der Zeit sehr effektiv war. Zudem waren die vier Coronazentren sehr nützlich.
Hatten sie Angst, dass Luxemburg ein ähnliches Szenario, wie Italien erleben könnte?
Ja, Ende März, als die Grenzen zu den Nachbarländern geschlossen wurden, war diese Angst da. Wir wussten nicht, wie schnell sich das Virus verbreiten wird. Die Krise hat uns vor Augen geführt, wie verwundbar unser Gesundheitssystem ist. Die Infrastruktur ist nicht alles, es geht vor allem um die Menschen, die sie zum Laufen bringen.
Was können wir für das Gesundheitssystem tun?
Die Berufe müssen attraktiver gemacht werden – besonders auch für die Luxemburgerinnen und Luxemburger. Dieses Thema war für uns schon vor der Krise wichtig. Zum Beginn des neuen Schuljahres wollen wir es mit hoher Priorität anpacken.
Soll auch mehr Schutzausrüstung, wie Masken, für die Zukunft eingelagert werden?
Unser Bestand war in der Tat nicht ausreichend. Wir hatten Glück, dass wir trotzdem durchgekommen sind. Für das Personal in den Krankenhäusern war genug da. Wir haben unsere Lager bereits aufgefüllt. Das war die erste Lektion, die uns dieses Virus gelehrt hat.
Ist Luxemburg bei der Beschaffung von Schutzausrüstungen von anderen Ländern überboten worden?
Das ist zwei oder dreimal passiert. Wir hatten die Ausrüstung bereits bezahlt, dann ist die Bestellung aber noch umgeleitet worden, weil ein anderer Käufer mehr gezahlt hat. Wir wurden allerdings auch nicht abgezockt. Andere Länder konnten ihre bestellte Ware zum Teil nicht nutzen, weil sie von minderwertiger Qualität war.
Wissen Sie, von welchen Staaten Luxemburg überboten wurde?
Nein. Das wussten wir zu keinem Zeitpunkt. Das ist nicht transparent abgelaufen.
Hat Luxemburg andere Länder überboten?
Nein. Niemals.
Was entgegnen Sie Menschen, die sagen, dass wegen 110 Corona-Opfern die Wirtschaft zum Stillstand gebracht wurde?
Dass Menschenleben immer als erstes geschützt werden müssen. Ich bin stolz darauf, dass Luxemburg zu den Ländern gehört, die bisher am besten mit die Pandemie umgegangen sind. Prävention ist eben keine Politik, mit der man immer gut dasteht. Wenn sie funktioniert, heißt es, die Maßnahmen seien zu streng gewesen. Wenn sie nicht funktioniert, ist die Kritik natürlich viel schärfer. Im Nachhinein ist es einfach unseren Weg zu kritisieren. Wir mussten schnell entscheiden.
Wie haben Sie die Krise persönlich erlebt?
Es war für mich und mein Team eine sehr anstrengende Zeit, körperlich und psychisch. Die Belastung war enorm. Ich habe manchmal gedacht, dass ich es nicht schaffe.
(Joseph Gaulier/L'essentiel)