WHO-Skala«Milder Verlauf» bedeutet nicht, was du denkst
Was zunächst nur eine Hoffnung war, gilt mittlerweile als bestätigt: Die Omikron-Variante sorgt für mildere Verläufe als ihr Vorgänger Delta. Doch was heißt eigentlich «mild»?

Das Auftauchen der jüngsten Coronavirus-Mutante Omikron, die von der Weltgesundheitsorganisation WHO als besorgniserregende Variante (VOC) gelistet wird, sorgt weltweit für einen rasanten Anstieg der Fallzahlen – auch weil sie bereits Genesene und Geimpfte infizieren kann. Gleichzeitig scheint sie aber für weniger schwere Verläufe zu sorgen als die bis vor kurzem dominante Delta-Variante. Darauf deuten unter anderem zwei Studien aus Großbritannien hin, laut denen Omikron-Infektionen seltener im Krankenhaus enden.
Träger der zunächst in Südafrika nachgewiesenen Mutante können also auf einen «milden» Verlauf hoffen. Was das heißt, darüber gehen die Meinungen allerdings auseinander, wie Twitter-Userin @SubCaptainGirl schreibt: «Nichtmediziner hören ‹mild› und denken an ‹heiße Schokolade und einen Filmtag›, Mediziner denken an ‹wird keine unterstützte Atmung benötigen, um am Leben zu bleiben.›»
Unterschiedliche Auslegung des Begriffs
Tatsächlich wird das Wort «mild» von medizinischen Fachpersonen und Nicht-Medizinern unterschiedlich interpretiert, wie unter dem Repost des Tweets auf dem Instagram-Profil von US-Kinderärztin Christina Johns deutlich wird: «Mein Freund aus dem Gesundheitswesen erinnert uns immer wieder daran, dass ‹mild› wie eine Erkältung klingt, obwohl es eigentlich bedeutet, dass wir nicht sterben werden», lautet ein Kommentar.
Chris Carroll, Intensivmediziner am Connecticut Children’s Medical Center und Professor für Kinderheilkunde an der University of Connecticut, konkretisiert auf Twitter: «Eine ‹milde› Krankheit kann immer noch sehr schwerwiegend sein!» Es irritiere ihn, dass «wir als Nation» die Intensivstations-Definition von ‹mild› für die Pandemie übernommen haben. «‹Gut› auf der Intensivstation bedeutet nicht wirklich ‹gut› – es bedeutet immer noch sehr krank!»
Grenze zwischen «mild» und «moderat» nicht ganz eindeutig
Was «mild» bei Covid-19 konkret bedeutet, ist nicht klar definiert. Es stehen verschiedene Skalen zur Diskussion, die über unterschiedlich viele Stufen verfügen. In einer achtstufigen gilt ein Verlauf sogar noch dann als «mild» (Stufen 3 bis 4), wenn der Infizierte ins Krankenhaus muss. Auf Stufe 3 braucht er noch keinen Sauerstoff, auf Stufe 4 muss die Atmung bereits mit einer Sauerstoffmaske aus Plastik oder einem Sauerstoffschlauch unterstützt werden. In einer zehnstufigen Skala gilt ein Verlauf dann als «mild» (Stufen 1 bis 3), wenn der oder die Erkrankte medizinische Unterstützung braucht, aber nicht im Krankenhaus behandelt werden muss. Ab der Einlieferung ins Krankenhaus ist dann von einem «moderaten Verlauf» (Stufen 4 und 5) die Rede. Ein schwerer Verlauf (Stufen 6 bis 9) ist demnach erst dann erreicht, wenn es zu einer High-Flow-Sauerstofftherapie kommt. Bei der werden mehrere Liter Sauerstoff pro Minute in die Lungen gepumpt.
Alle Skalen haben miteinander gemein, dass sie zeigen, dass Omikron nicht zu unterschätzen ist. Die Variante sei «kein Kindergeburtstag», schreibt auch der Wissenschaftsinfluencer Marc Raschke auf Instagram. Schon gar nicht für ungeschützte Risikopatienten, die «nach wie vor in Gefahr eines schweren Verlaufs» seien. Die WHO warnt ebenfalls davor, Omikron als «mild» zu betrachten. «Genau wie vorangegangene Varianten müssen Menschen wegen Omikron ins Krankenhaus, und es tötet Menschen», zitiert die Nachrichtenagentur AFP Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus.
Zudem sind Personen mit einem milden Verlauf nicht vor Long Covid gefeit. Auch hinterlassen selbst milde Covid-19-Verläufe Spuren an Organen und können die Funktionen von Herz, Lunge und Nieren beeinträchtigen, wie Hamburger Mediziner aufzeigen.
(L'essentiel/Fee Anabelle Riebeling)