Detroit meets Pjöngjang – Mit dem Straßenkreuzer ins Jenseits

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Detroit meets PjöngjangMit dem Straßenkreuzer ins Jenseits

Aller anti-westlichen Propaganda zum Trotz hat Nordkoreas Staatsführung dem «Geliebten Führer» für die letzte Reise einen fahrbaren Untersatz spendiert, der kapitalistischer nicht sein könnte.

Kim Jong-Ils Trauerzug hatte es wahrlich in sich. Zehntausende in Tränen aufgelöste Nordkoreaner erwiesen dem Mann, der sie 17 Jahre blutig unterdrückte, in Pjöngjang die letzte Ehre. Apparatschiks mit steinernen Mienen begleiteten stoisch die sterblichen Überreste des Diktators zu seiner letzten Ruhestätte – zum Teil sogar zu Fuß. Und das alles bei dichtem Schneetreiben und eisigen Temperaturen. Doch was den Betrachter aus dem Westen wirklich staunen ließ, war der gigantische Fuhrpark, den das Begräbniskomitee unter der Leitung von Kims Sohn und Nachfolger Kim Jong-Un auffahren ließ.

Der Autokorso, der sich im Schritttempo über die Prachtboulevards der nordkoreanischen Hauptstadt wälzte, bestand – vorsichtig geschätzt – aus rund 65 Fahrzeugen. Neben rund zwei Dutzend Militärlastwagen fielen dem geneigten Betrachter dabei eine ganze Armada schwarzer S-Klasse-Mercedes der vorletzten Generation ins Auge. Ausgestattet mit allen Errungenschaften des westlichen Automobilbaus dürften die Stuttgarter Erzeugnisse den Parteibonzen trotz winterlicher Kälte eine Parade in wohliger Wärme beschert haben. Ein Luxus, der den Massen am Straßenrand vorenthalten blieb. Vielleicht haben sie deshalb so herzerweichend geweint.

Das Geheimnis der drei schwarzen Limos

Doch auch wenn die Luxusfahrzeuge mit dem Stern gemeinhin als die besten Automobile der Welt gelten und Kim Jong-Il ein ausgeprägter Mercedes-Benz-Fetisch nachgesagt wurde, gehörte die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit an diesem Tag drei schwarzen Limousinen, die vom heutigen Stand der Technik ungefähr so weit entfernt sind wie der durchschnittliche Nordkoreaner von einem Internetanschluss. Die Rede ist hier nicht etwa von sowjetischen ZIL-4104-Repräsentationskarossen oder rotchinesischen Hongqi-CA770-Parteikutschen. Die wahren Stars des Staatsbegräbnisses waren drei überlange Lincoln Continental mit Jahrgang 1976. Zwei dieser Detroiter Stahlmonster mit 7,5 Liter-V8-Motoren führten die offizielle Parade an, wobei eines ein riesiges Bildnis des toten Diktators auf seinem Dach spazieren fuhr – vielleicht um die weinenden Massen daran zu erinnern, weshalb sie an diesem garstigen Tag am Strassenrand frieren mussten.

Dem dritten Lincoln kam schliesslich die Aufgabe zu, auf seinem Dach in einem Meer weisser Kimjongilias, der Nationalblume Koreas, den Sarg des Diktators zu transportieren. Es kann davon ausgegangen werden, dass es der gleiche Wagen ist, der 1994 bereits Kims Vater und Republikgründer Kim Il-Sung zu seiner letzten Ruhestätte gefahren hatte. Und so ist es wohl dieser Präzedenzfall, der die nordkoreanischen Oberen davon abgehalten hatte, die amerikanischen Dickschiffe gegen zeitgemässere Automobile einzutauschen. Doch was ist schon zeitgemäß an der letzten stalinistischen Diktatur der Welt?

L'essentiel Online/ Jean-Claude Gerber

Lincoln Continental Jg. 1976

Die drei Lincoln Continental aus dem nordkoreanischen Trauerfuhrpark sind Modelle der fünften Generation der Baureihe, die die Ford Motor Company in den Jahren 1970 bis 1979 gebaut hatte. Regulär schon 5,9 Meter lang sind die nordkoreanischen Staatskarossen nochmals um einige dutzend Zentimeter verlängert worden. Unter der Haube dürfte der reguläre 7,5 Liter V8 Dienst tun, der 1976 rund 200 PS produzierte.

Die Continentals aus dieser Zeit sind Paradebeispiele für das, was hierzulande despektierlich als Ami-Schiff bezeichnet wird. Sie sind riesig, schwer und haben einen Durst, der jedem Ölmagnaten die Freudentränen in die Augen treibt. Ihr Bremsweg ist mit dem eines Kreuzfahrtschiffes und die Fertigungsqualität mit chinesischem Plastikspielzeug zu vergleichen. Und trotzdem – welches andere Auto erfüllt seine Repräsentationspflichten so unaufgeregt und nobel wie ein US-Straßenkreuzer aus den 70er Jahren?

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