Krieg in der Ukraine «Von den Dächern der überfluteten Häuser sehen Menschen, wie Ertrunkene vorbeitreiben»
Seit dem 24. Februar 2022 herrscht in der Ukraine Krieg. Hier findest du die neusten Entwicklungen.
- von
- L'essentiel & Agenturen
Das Wichtigste in Kürze
Seit dem 24. Februar führt die russische Armee einen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Die russischen Streitkräfte wurden zuletzt im Osten und im Süden wieder von der ukrainischen Armee zurückgedrängt. Die Gegenoffensive verläuft nicht zuletzt dank Waffenlieferungen aus den USA und Europa erfolgreich.
Seit Monaten zielen russische Raketenangriffe vor allem auf die ukrainische Energie-Infrastruktur ab. Es dürfte ein Versuch sein, die Zivilbevölkerung zu zermürben.
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Selenskyj meldet Todesfälle nach Damm-Zerstörung
Bei den Überflutungen infolge der Zerstörung des Kachowka-Staudamms sind nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auch Menschen umgekommen. «Menschen, Tiere sind gestorben. Von den Dächern der überfluteten Häuser sehen Menschen, wie Ertrunkene vorbeitreiben», sagte er in einem Interview mit «Welt», «Bild» und «Politico» in Kiew. Den russischen Truppen auf dem von ihnen eroberten Südufer des Dnipro-Stroms machte er schwere Vorwürfe: «Wenn unsere Kräfte versuchen, die Menschen rauszuholen, dann werden sie von den Besatzern aus der Entfernung beschossen.»
Enttäuscht zeigte sich Selenskyj darüber, dass nach seinen Angaben die UN und das Rote Kreuz seinem Land in der Dammbruch-Katastrophe bisher nicht helfen würden. Sie müssten «als erste da sein, um Menschenleben zu retten», sagte er. Aber: «Sie sind nicht da!»

Nachdem der Kachowka-Staudamm im Süden der Ukraine gebrochen ist wurde die Region überschwemmt.
Nach einer Rückeroberung des Gebiets von den Russen will der ukrainische Präsident eine internationale Untersuchung anregen. Dann werde die Ukraine, alle internationalen Experten einladen, den Vorfall zu untersuchen, sagte er.
Selenskyj hält die Verantwortung Russlands für die Katastrophe für erwiesen und glaubt, dass die russische Seite die Sprengaktion unterschätzt habe. Sie habe in Erwartung der ukrainischen Gegenoffensive auf diese Weise die Befreiung der Gebiete erschweren wollen. «Sie haben nicht daran gedacht, dass sie auch ihre besetzten Gebiete fluten», erklärte er.
Eine braune Flut wälzt sich durch Cherson
Am Tag nach der teilweisen Zerstörung des Staudamms von Kachowka bahnt sich eine braune Flut ihren Weg durch die südukrainische Stadt Cherson. Stunde um Stunde steigt steigt der Wasserpegel – offiziellen Angaben zufolge um bis zu fünf Meter. «Wir haben kein Haus mehr», nicht einmal das Dach lasse sich sehen, sagt der 46-jährige Dmytro Melnikow, der sich gemeinsam mit seinen fünf Kinder in Sicherheit gebracht hat.
Viele Bewohner von Cherson stehen vor den Trümmern ihrer Existenz, seit der Staudamm flussaufwärts in der Nacht zum Dienstag teilweise zerstört wurde und die Fluten des Dnipro in ihre Stadt vorgedrungen sind. Überall in der Stadt sind Rettungsteams in kleinen Booten und wassertauglichen Amphibienfahrzeugen unterwegs, um vor allem kleine Kinder und ältere Menschen zu erreichen.

Nach offiziellen Angaben stieg der Wasserpegel in Cherson um bis zu fünf Meter.
Manche der Bewohner tragen nichts weiter als ihren Pass bei sich. «Die Menschen schicken uns – wenn möglich – ihre Standortdaten zu, und wir holen sie und ihre Haustiere ab», sagt der 38-jährige Polizist Sergij, einer der Koordinatoren des Rettungseinsatzes, an dem sich Polizisten, Notfallsanitäter und Soldaten beteiligen.
Cherson war von Beginn an einer der Hauptschauplätze des Krieges. Von März bis November 2022 war die Stadt am Westufer des Dnipro von russischen Truppen besetzt, bis die Ukraine sie zurückeroberte. Seither ist sie immer wieder unter schwerem Beschuss.
Putin macht Ukraine für Angriff auf Staudamm verantwortlich
Der russische Präsident Wladimir Putin hat die Ukraine für die Explosion am Kachowka-Staudamm verantwortlich gemacht. In seiner ersten öffentlichen Stellungnahme zum Bruch des Damms in der Südukraine sprach Putin am Mittwoch von einer «barbarischen Tat» Kiews. Dadurch sei «eine ökologische und humanitäre Katastrophe großen Ausmaßes» verursacht worden, sagte Putin nach Angaben des Kreml in einem Telefonat mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.
Greenpeace warnt vor enormen Umweltschäden nach Staudamm-Zerstörung
Greenpeace warnt vor enormen Umweltschäden durch die Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der Ukraine. «Aufgrund des Ausmaßes der Katastrophe wird es in den kommenden Sommermonaten und darüber hinaus unweigerlich zu Auswirkungen auf die Wasserversorgung von Millionen von Menschen und die Landwirtschaft kommen», erklärte die Umweltschutzorganisation.
«Zu den größten Umweltbedrohungen gehören giftige und andere Schadstoffe, schwere Schäden an empfindlichen Ökosystemen, Nationalparks und am Biosphärenreservat Schwarzes Meer.»
Folgen der Staudamm-Zerstörung in Südukraine immer dramatischer
Nach der Teilzerstörung des Kachowka-Staudamms in der Südukraine nehmen die Folgen für die Region immer katastrophalere Ausmaße an. Die Fluten schwollen am Mittwoch weiter an, in der besonders betroffenen Großstadt Cherson im von der ukrainischen Armee kontrollierten Gebiet stiegen die Pegel um fünf Meter. Tausende Menschen wurden bereits in die Flucht gezwungen. Wer für die Explosion verantwortlich war, die den Staudamm beschädigt hatte, blieb weiter unklar.
Auf der von der Ukraine gehaltenen westlichen Seite des Flusses Dnipro wurden bis Mittwochmittag «mehr als 1450 Menschen» vor den Fluten in Sicherheit gebracht, wie die ukrainische Rettungsdienste mitteilten. Die von Moskau eingesetzten Behörden auf der Ostseite des Flusses gaben die Evakuierung von bis dahin 1274 Menschen bekannt.

Behörden auf der Ostseite des Flusses Dnipro gaben die Evakuierung von bis dahin 1274 Menschen bekannt.
Insgesamt sollten mehr als 40.000 Menschen auf beiden Seiten des Flusses evakuiert werden. Angaben zu möglichen Toten und Verletzten lagen zunächst weiterhin nicht vor.
Luftwaffen-Manöver über Deutschland auch als Signal an Putin
Das größte Luftwaffen-Manöver in der Geschichte der Nato soll auch ein Signal der Stärke an den russischen Präsidenten Wladimir Putin senden.
Das machte die US-Botschafterin in Deutschland, Amy Gutmann, am Mittwoch bei einer Pressekonferenz zu der von der Deutschen Luftwaffe geführten Übung «Air Defender 23» klar, die am kommenden Montag beginnt und zehn Tage dauert. «Es würde mich sehr wundern, wenn irgendein Staatsoberhaupt der Welt nicht zur Kenntnis nehmen würde, was dies (das Manöver) in Bezug auf den Geist dieses Bündnisses, das heißt die Stärke dieses Bündnisses, zeigt. Und das schließt Herrn Putin ein», sagte Gutmann.
Unterschiedliche Einschätzungen gibt es weiterhin zu den Beeinträchtigungen des zivilen Flugverkehrs im deutschen Luftraum durch das Manöver. «Das wird sich maximal im Minutenbereich bewegen», sagte der Inspekteur der Deutschen Luftwaffe, Ingo Gerhartz, zu möglichen Verspätungen von Flügen. Außerdem betonte er, dass die Übung vor den Schulferien und damit vor der großen Urlaubsreisewelle stattfindet. Auch der Direktor der US-Nationalgarde, Michael Loh, rechnet nicht mit größeren Auswirkungen auf den zivilen Luftverkehr. «Wir erwarten minimale Unterbrechungen», sagte er.

«Air Defender 2023» gilt als größte Verlegungsübung von Luftstreitkräften seit Gründung der Nato. Es nehmen vom 12. Juni bis zum 23. Juni unter deutscher Führung 25 Nationen und 10.000 Soldaten mit 250 Flugzeugen teil, darunter 70 Maschinen aus Deutschland
Die Fluglotsengewerkschaft GdF hatte zuvor eine andere Prognose aufgestellt. «Die Militärübung «Air Defender» wird natürlich massive Auswirkungen auf den Ablauf der zivilen Luftfahrt haben», sagte ihr Vorsitzender Matthias Maas der Deutschen Presse-Agentur. Er verwies auf ein von der europäischen Flugsicherungsorganisation Eurocontrol errechnetes Szenario, das bis zu 50 000 Verspätungsminuten je Manövertag ausweist.
Auch der Flughafenverband ADV rechnet mit deutlichen Beeinträchtigungen. Präsident Stefan Schulte wies darauf hin, dass für die Übung «mehrstündig große Luftraumblöcke für das Militär reserviert» würden. «Trotz aller vorbereitenden Maßnahmen durch Flugsicherung, Airlines und Flughäfen, damit die Beeinträchtigungen so gering wie möglich bleiben, können wir derzeit nicht ausschließen, dass es zu deutlichen Verspätungen im zivilen Luftverkehr und Flugstreichungen kommen kann.»
An dem Manöver sind 25 Staaten – vor allem aus der Nato – mit 250 Flugzeugen und fast 10 000 Soldaten beteiligt. Es sind etwa 2000 Flüge geplant. Gutmann würdigte ausdrücklich die deutsche Führungsrolle bei «Air Defender 23»: «Das ist unglaublich wichtig. Wir sind unglaublich dankbar.»
Die Idee für das Manöver gab es bereits 2018 – nach der russischen Annexion der ukrainischen Krim-Halbinsel, aber lange vor der russischen Invasion in der Ukraine. Gerhartz warb um Verständnis für die militärische Bedeutung, die solche Übungen für die Luftstreitkräfte hätten. «Sicherheit gibt es eben nicht zum Nulltarif», sagte er zu den damit verbundenen Beeinträchtigungen und zu den Kosten. Genau beziffern konnte er allerdings noch nicht, wieviel Steuergeld dafür investiert wird.
Kritik an dem Manöver kommt aus der Opposition. «Ich bezweifele, dass die Nato mit dieser Machtdemonstration der Superlative sonderlich Eindruck bei der russischen Führung schinden wird», erklärte der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Gregor Gysi. «Auch das Vorgänger-Manöver der Nato 2021 hat Putin nicht davon abgehalten, einige Monate später die Ukraine zu überfallen.» Gysi meint das von den USA geführte Manöver der Landstreitkräfte «Defender Europe 21» vor zwei Jahren.
Selenskyj warnt nach Staudamm-Zerstörung vor Krankheiten und Seuchen
Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms hat die Ukraine vor einer Ausbreitung von Krankheiten und Seuchen in der überfluteten Region Cherson gewarnt. Durch das Hochwasser können in der südlichen Region Chemikalien und Krankheitserreger in Brunnen und Gewässer gelangen, wie das ukrainische Gesundheitsministerium am Mittwoch auf Facebook mitteilte. Experten des Ministeriums seien bereits vor Ort im Einsatz, um Wasserproben zu analysieren, hieß es weiter. Außerdem sollten regionale Vorräte an Antibiotika aufgestockt werden, um mehr Menschen bei Darminfekten behandeln zu können.
Die ukrainische Behörde um Präsident Wolodymyr Selenskyj teilte außerdem mit, in den kommenden drei bis fünf Tagen werde der Wasserstand wieder sinken, was voraussichtlich zum Massen-Fischsterben führen werde. Der Verzehr von Fischen sei deshalb nun kategorisch verboten, um das Risiko von Botulismus – einer lebensbedrohlichen Nervenvergiftung – zu minimieren.
Der Staudamm in der Stadt Nowa Kachowka war in der Nacht zum Dienstag in dem von Russland besetzten Teil des südukrainischen Gebiets Cherson zerstört worden. Die Ukraine und viele westliche Beobachter sind überzeugt, dass die russischen Besatzer die Staudamm-Anlage selbst gesprengt haben – möglicherweise, um so die geplante ukrainische Gegenoffensive zu behindern. Der Kreml wiederum beschuldigt Kiew. Russland führt seit mehr als 15 Monaten einen Angriffskrieg gegen das Nachbarland.
Weltgrößte Ammoniak-Pipeline beschossen und beschädigt
In der Region Charkiw ist die weltgrößte Ammoniak-Pipeline beschossen und offenbar massiv beschädigt worden: Videoaufnahmen zeigen, wie aus der Leitung im Kupiansk-Distrikt dichte Schwaden der giftigen Substanz aufsteigen. Die angegriffene Stelle befindet sich in der «grauen Zone» zwischen den russischen und der ukrainischen Frontlinie. Die rund 2500 Kilometer lange Pipeline verbindet die Städte Togliatti und Odessa. Sie war im Februar 2022 außer Betrieb genommen worden, enthält aber offenbar noch viel von dem Gas, das zur Herstellung von Dünger verwendet wird.
Wer für die Beschädigung verantwortlich ist ist unklar: Beide Kriegsparteien schieben sich dafür gegenseitig die Schuld zu. Laut unbestätigten Berichten haben die Streitkräfte beider Länder die Kampfhandlungen in der betroffenen Region eingestellt.
Menschen in Hochwasser-Fluten eingeschlossen
Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der Südukraine sind laut Angaben der russischen Besatzer im von ihnen kontrollierten Teil des Gebiets Cherson bis zu 40.000 Menschen von den schweren Überschwemmungen betroffen. «Nach vorläufigen Prognosen sind es zwischen 22.000 und 40.000», sagte der von Moskau in Cherson eingesetzte Verwaltungschef Wladimir Saldo am Mittwochvormittag im russischen Staatsfernsehen auf die Frage, wie viele Menschen im Katastrophengebiet lebten.
Der Besatzungschef der Staudamm-Stadt Nowa Kachowka, Wladimir Leontjew, sagte zudem, dass dort rund 100 Menschen von den Wassermassen eingeschlossen seien und gerettet werden müssten. Sieben Anwohner werden den Angaben zufolge derzeit vermisst, rund 900 sollen angeblich schon in Sicherheit gebracht worden sein. Leontjew sprach zudem von mehreren komplett oder teilweise überfluteten Orten. «Der Ort Korsunka steht – mit Ausnahme der letzten Straße – komplett unter Wasser», sagte er im russischen Fernsehen.
Ukrainischer Damm könnte weiter Schaden nehmen
Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der Südukraine rechnen britische Geheimdienste mit weiteren Folgen. «Die Struktur des Damms wird sich in den nächsten Tagen voraussichtlich weiter verschlechtern, was zu weiteren Überschwemmungen führen wird», teilte das britische Verteidigungsministerium am Mittwoch mit. Auf Fotos und Videos hat es den Anschein, dass ein Teil der Staumauer noch steht. Weitere Angaben machte die Behörde nicht, auch nicht dazu, wer für die Zerstörung verantwortlich sein könnte. In den überfluteten Ortschaften stieg auch am Mittwoch weiter das Wasser.
Der britische Premierminister Rishi Sunak sagte auf einer Reise in die USA, britische Geheimdienste würden die Beweise zur Zerstörung noch prüfen. Derzeit sei es zu früh, um ein endgültiges Urteil über die Ursachen des Dammbruchs zu fällen. Sollte Russland verantwortlich sein, würde dies «den größten Angriff auf die zivile Infrastruktur in der Ukraine seit Kriegsbeginn» darstellen und ein «neues Tief» der russischen Aggression, sagte Sunak.
Video soll Explosion zeigen
In verschiedene Telegram-Kanälen wird derzeit ein Video geteilt, dass eine Explosion beim Kachowka-Staudamm zeigen soll. Die Echtheit des Videos konnte bisher noch nicht geprüft werden. Auf dem Video ist zu sehen, dass der Damm bereits beschädigt ist, als sich die Explosion ereignet. Mehrere Militärblogger spekulieren deshalb, ob die Explosion von einer angeschwemmten Mine stammt. Unklar ist ebenfalls, wer das Video aufgenommen hat.
Russland und die Ukraine gaben sich gegenseitig die Schuld an der Zerstörung des Stausees, beide Seiten sprechen von einem «Terroranschlag» und einer beispiellosen Katastrophe für die Umwelt. Kiew wirft russischen Truppen vor, das Wasserkraftwerk und den Staudamm vermint und gesprengt zu haben. Moskau wiederum behauptet, die Anlage sei durch ukrainischen Beschuss zerstört worden und fordert eine internationale Untersuchung.
Die Aufnahmen kursieren seit Dienstag in den sozialen Medien. Sie wurden bis jetzt nicht unabhängig verifiziert. (Video: Telegram)
UNO warnt nach Zerstörung des Kachowa-Staudamms vor humanitärer Krise
Nach der teilweisen Zerstörung des Kachowka-Staudamms im Süden der Ukraine wächst die Angst angesichts der Überschwemmungen und der Gefahr eines möglichen nuklearen Unfalls. Die Vereinten Nationen warnten vor «ernsten humanitären Folgen für hunderttausende Menschen auf beiden Seiten der Frontlinie». Über Nacht hätten Tausende Menschen ihre Häuser verloren, weitere Tausende hätten keinen Zugang zu Wasser, Nahrung und einer Grundversorgung.
UN-Generalsekretär António Guterres nannte den Vorfall eine «weitere zerstörerische Folge der russischen Invasion in der Ukraine», hob allerdings hervor, die UNO habe «keinen Zugang zu unabhängigen Informationen über die Umstände, die zu der Zerstörung» des Dammes führten.

UN-Generalsekretär António Guterres nannte den Vorfall eine «weitere zerstörerische Folge der russischen Invasion in der Ukraine».
Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg verurteilte den Angriff scharf. Die Zerstörung gefährde Tausende Zivilisten und verursache schwere Umweltschäden, schrieb er im Kurzbotschaftendienst Twitter. EU-Ratspräsident Charles Michel schrieb: «Die Zerstörung ziviler Infrastruktur gilt klar als Kriegsverbrechen – und wir werden Russland und seine Stellvertreter zur Verantwortung ziehen.»
Felder könnten nach Staudamm-Zerstörung Wüsten werden
Nach der Explosion des Kachowka-Staudamms im Süden der Ukraine rechnet das ukrainische Agrarministerium ersten Schätzungen zufolge mit der Überschwemmung von etwa 10 000 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche am nördlichen Ufer des Dnipro in der Region Cherson. Am südlichen Ufer, im russisch besetzten Gebiet werde ein Vielfaches dieser Fläche überflutet, teilte das Ministerium am Dienstagabend auf seiner Webseite mit. Detaillierte Informationen sollen demnach in den kommenden Tagen bekannt gegeben werden, wenn sich das Ministerium ein genaues Bild von der Lage gemacht habe.
«Darüber hinaus wird die von Menschen verursachte Katastrophe die Wasserversorgung von 31 Feldbewässerungssystemen in den Regionen Dnipropetrowsk, Cherson und Saporischschja zum Erliegen bringen», so das Ministerium. «Die Zerstörung des Wasserkraftwerks Kachowka wird dazu führen, dass sich die Felder im Süden der Ukraine bereits im nächsten Jahr in Wüsten verwandeln könnten», hieß es weiter. Auch die Trinkwasserversorgung in besiedelten Gebieten sei betroffen. Zudem erwartet das Agrarministerium nach eigenen Angaben negative Folgen für die Fischerei.
Der Staudamm war in der Nacht zum Dienstag in dem von Russland besetzten Teil des südukrainischen Gebiets Cherson zerstört worden. Der Kreml beschuldigt Kiew. Die Ukraine und viele westliche Beobachter sind hingegen überzeugt, dass die russischen Besatzer die Staudamm-Anlage selbst gesprengt haben – möglicherweise, um so die geplante ukrainische Gegenoffensive zu behindern. Russland führt seit mehr als 15 Monaten einen Angriffskrieg gegen das Nachbarland.
Dammbruch führt zu steigenden Weizenpreisen
Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der Südukraine sind die Weltmarktpreise für Weizen und Mais am Dienstag in die Höhe geschnellt. An der Börse Chicago Mercantile Exchange zogen die Notierungen im frühen Handel um 2,4 Prozent auf 6,39 US-Dollar je Scheffel (rund 27 Kilogramm) an. Mais wurde mehr als ein Prozent teurer gehandelt, Hafer legte um 0,73 Prozent zu.
Der Dammbruch ließ an den Märkten die Sorge aufkommen, dass die erschwinglichen Lieferungen von Weizen, Gerste, Mais und Sonnenblumenöl aus der Ukraine an Entwicklungsländer, wo die Menschen mit Hunger und hohen Lebensmittelpreisen zu kämpfen haben, unterbrochen werden könnten. In der Südukraine gibt es riesige landwirtschaftliche Flächen, die durch die Wassermassen womöglich in Mitleidenschaft gezogen werden.

Die Menge an Getreide, das die Ukraine exportieren kann, sei um 40 Prozent geringer als noch vor zwei Jahren, sagte Glauber.
Joseph Glauber zufolge, Senior Research Fellow am International Food Policy Research Institute und ehemaliger Chefökonom des US-Landwirtschaftsministeriums, wurde in diesem Gebiet zuletzt jedoch weniger Weizen angebaut, weil es in der Nähe der Front liege.
Die Rohstoffanalysten der Citi bezeichneten den Dammbruch als «Erinnerung an das anhaltende Inflationsrisiko auf dem Gütermarkt». Lebensmittelexporte aus der Ukraine würden «aufgrund des Krieges weiterhin stark beeinträchtigt», sagte Joe Janzen, Assistenzprofessor am College of Agricultural, Consumer and Environmental Sciences der University of Illinois Urbana-Champaign.
Britische Geheimdienste untersuchen Gründe für Zerstörung des Damms
Britische Geheimdienste untersuchen nach Angaben von Premierminister Rishi Sunak die Gründe für die Zerstörung des Kachowka-Staudamms im Süden der Ukraine. Er könne derzeit «nicht sagen, ob Vorsatz dahinter steckt», sagte Sunak am späten Dienstagabend vor seiner Abreise zu einem Treffen mit US-Präsident Joe Biden.
Sunak nannte die Zerstörung des Staudamms den «größten Angriff auf zivile Infrastruktur» seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Sollte Moskau hierfür verantwortlich sein, wäre dies laut dem britischen Premier ein Beleg für «neue Tiefpunkte russischer Aggression».
Der britische Außenminister James Cleverly hatte die Zerstörung des Kachowka-Staudamms zuvor eine «abscheuliche Tat» genannt. Vorsätzliche Angriffe auf ausschließlich zivile Infrastruktur seien ein Kriegsverbrechen, ergänzte Cleverly.

Es sei «zu früh», um ein «endgültiges Urteil» zu dem Dammbruch abzugeben, sagte Sunak weiter.
Kiew und Moskau schieben sich vor Sicherheitsrat Schuld zu
Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms im Süden der Ukraine haben sich Kiew und Moskau vor dem UN-Sicherheitsrat gegenseitig die Schuld zugewiesen.
Serhij Kislizia sprach am Dienstag bei einer kurzfristig einberufenen Dringlichkeitssitzung in New York von einem «Akt des ökologischen und technologischen Terrorismus». Die Sprengung sei «ein weiteres Beispiel für den Völkermord Russlands an den Ukrainern.»
Der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja sagte dagegen, dass der Vorfall auf «vorsätzliche Sabotage Kiews» zurückzuführen und wie ein Kriegsverbrechen einzuordnen sei. Der Staudamm sei für ein «unvorstellbares Verbrechen» benutzt worden.

Der ukrainische UN-Botschafter nannte den Staudamm-Bruch «Akt des ökologischen und technologischen Terrorismus». (Archivbild)
Selenskyj: Lassen uns durch russische Dammsprengung nicht aufhalten
Die Ukraine wird sich laut Präsident Wolodymyr Selenskyj auch durch die Explosion des Staudamms am Dnipro im Süden des Landes nicht an der Rückeroberung besetzter Gebiete hindern lassen. «Die von russischen Terroristen verursachte Katastrophe im Wasserkraftwerk Kachowska wird die Ukraine und die Ukrainer nicht aufhalten», sagte Selenskyj am Dienstag in seiner abendlichen Videobotschaft. Zugleich versprach er den Betroffenen in der Überschwemmungsregion Hilfe. Moskau und Kiew werfen sich gegenseitig die Zerstörung des Damms vor.
Nach Darstellung Selenskyjs diente die Sprengung des Staudamms dazu, die ukrainische Gegenoffensive auszubremsen. «Wir werden trotzdem unser gesamtes Land befreien», kündigte er an. Solche Attacken könnten Russlands Niederlage nicht verhindern, sondern führten nur dazu, dass Moskau am Ende einen höheren Schadenersatz zahlen müsse. Der ukrainische Generalstaatsanwalt habe sich bereits an den Internationalen Strafgerichtshof mit der Bitte um eine Untersuchung der Explosion gewandt.
Den Menschen in der Region sagte Selenskyj derweil Hilfe zu. Die Regierung tue alles, um Hochwasseropfer zu retten und die Bevölkerung mit Trinkwasser zu versorgen.
Selenskyj präsentierte auch eine Begründung dafür, warum Russland die von ihr kontrollierte Halbinsel Krim mit solch einer Sprengung von der Wasserversorgung abschneide. Moskau hat sich seinen Angaben nach bereits darauf eingestellt, die seit 2014 annektierte Krim zu verlieren.
USA: Nicht sicher über Hintergründe der Staudamm-Zerstörung
Die USA haben keine gesicherten Erkenntnisse über die Hintergründe der Zerstörung des Kachowka-Staudamms im Süden der Ukraine – ein amerikanischer UN-Vertreter hält eine Sabotage durch Kiew aber für unwahrscheinlich. «Warum sollte die Ukraine so etwas ihrem eigenen Territorium und ihren eigenen Menschen antun, ihr Land überschwemmen und Zehntausende dazu zwingen, ihre Häuser zu verlassen? Das macht einfach keinen Sinn», sagte der stellvertretende Botschafter Robert Wood am Dienstag vor einer Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates in New York. Wood sagte, er hoffe, in einigen Tagen mehr Informationen zu dem offensichtlichen Angriff auf den Damm zu haben.

Der stellvertretende US-Botschafter Robert Wood hält es für unwahrscheinlich, dass die Ukraine den Kachowka-Staudamm sabotierte.
Die Ukraine beschuldigt Russland, den Damm gesprengt zu haben, dessen Zerstörung große Überflutungen verursacht hat. Moskau behauptet, dass ukrainische Truppen die Anlage beschossen hätten. Nach UN-Angaben sind mindestens 16.000 Menschen in der Region durch Überschwemmungen obdachlos geworden.
Moskau präsentiert Traktoren als zerstörte Leopard-Kampfpanzer
Russlands Verteidigungsministerium hat die Vereitelung der ukrainischen Großoffensive und die Zerstörung von Kampfpanzern Leopard gemeldet – dabei aber offenbar falsche «Beweisbilder» präsentiert. Auf dem Video sei die Zerstörung eines Traktors zu sehen, urteilte der prorussische Militärblog «Wojenny Oswedomitel» am Dienstag nach Ansicht der Bilder. «Er ging dann in die Berichte des Verteidigungsministeriums als Leopard 2 ein.» Verteidigungsminister Sergej Schoigu hatte zuvor unter anderem die Vernichtung von acht Leopard-Kampfpanzern verkündet.
Auch andere russische Militärblogger kritisierten die Erfolgsmeldung als offensichtliche Ente. Nach Angaben des nationalistischen Bloggers Fighterbomber handelt es sich um Bilder aus dem Vorjahr. Zu der Zeit verfügte Kiew noch nicht über westliche Kampfpanzer des Typs Leopard. Die meisten Leopard-Panzer hat Deutschland an die Ukraine geliefert. Sie sollen dem Land während der geplanten Offensive bei der Rückeroberung ihrer von Russland besetzten Territorien helfen.

Das russische Verteidigungsministerium soll statt zerstörten Leopard-Panzern Bilder eines zerstörten Traktors gezeigt haben.
Das russische Verteidigungsministerium ist in der Vergangenheit schon mehrfach mit Übertreibungen in ihren Erfolgsmeldungen aufgefallen. So hat die russische Armee nach Angaben ihres Sprechers Igor Konaschenkow inzwischen etwa deutlich mehr ukrainische Flugzeuge abgeschossen als das Land je hatte.
Bereits im Februar 2023, als die ersten Leopard-Panzer aus dem Westen in der Ukraine eingetroffen waren, waren falsche Bilder von zerstörten Panzern im Umlauf. Damals postete ein Telegram-Kanal der Wagner-Gruppe ein Bild eines zerstörten Leo 2A4, das jedoch fünf Jahr alt und Syrien aufgenommen worden war.
«Washington Post»: CIA erfuhr schon früh von ukrainischen Nord-Stream-Plänen
Nach den Explosionen an den Nord-Stream-Gaspipelines in der Ostsee führen einem US-Medienbericht zufolge weitere Spuren in die Ukraine. Die «Washington Post» berichtete am Dienstag, der US-Auslandsgeheimdienst CIA habe bereits im Juni 2022 und damit drei Monate vor den Detonationen von einem ukrainischen Plan für einen solchen Anschlag erfahren.
Demnach wurde die CIA von einem europäischen Geheimdienst darüber informiert, dass ein Team von sechs Angehörigen einer ukrainischen Eliteeinheit die Erdgas-Pipelines bei einem verdeckten Taucheinsatz sprengen wollte. Der «Washington Post» zufolge unterstand das Team direkt der ukrainischen Armeeführung.
Die «Washington Post» berichtet jetzt, die US-Regierung habe im Juni 2022 durch einen «engen Verbündeten» von dem mutmaßlichen ukrainischen Plan erfahren. Demnach stammten die Angaben von einem Informanten in der Ukraine. Die USA teilten die Informationen dann mit Deutschland und anderen Europäern, schreibt die «Washington Post» unter Berufung auf informierte Kreise. Der Plan soll demnach sehr detailliert gewesen sein – und große Ähnlichkeiten mit dem tatsächlichen Anschlag vom September haben.

Gemäß einem Artikel der «Washington Post» erfuhr die US-Regierung im Juni 2022 durch einen «engen Verbündeten» vom mutmaßlichen ukrainischen Plan zur Sabotage der Nord-Stream-Pipelines.
So sollten dem Plan zufolge sechs Beteiligte mit einem unter falscher Identität gemieteten Boot zu den Pipelines fahren und dann zu den Leitungen tauchen, um Sprengsätze anzubringen. Deutsche Ermittler sind Medienberichten zufolge zu dem Schluss gekommen, dass sechs Angreifer im September genau so vorgingen.
Die Beteiligten sollen der «Washington Post» zufolge direkt an den ukrainischen Armeechef Walerij Saluschnyj berichtet haben. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sei bewusst nicht über die Pläne informiert worden, um dann glaubhaft eine ukrainische Verantwortung zurückweisen zu können.