Flüchtlingsquote«Nicht verdient, Europa genannt zu werden»
Blank liegende Nerven und hochkochende Emotionen in Brüssel: Zwölf der 28 EU-Länder wollen keine Flüchtlingsquoten. Italiens Premier geigte ihnen die Meinung.

«Keine Solidarität» unter den EU-Staaten: Der italienische Premierminister Matteo Renzi.
Die geplante Umverteilung von Flüchtlingen auf die EU-Länder hat beim Brüsseler Gipfel die Emotionen hochkochen lassen. «Wenn das eure Idee von Europa ist, könnt ihr sie behalten», soll ein erboster Renzi seinen Kollegen im Streit um Flüchtlingsquoten für den Kontinent entgegengeschleudert haben. Er fordert Solidarität ein, doch viele EU-Partner sträuben sich.
Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi forderte in einem flammenden Appell eine verbindliche Quote für die Aufnahme von Migranten, um sein Land sowie Griechenland zu entlasten. Doch mit seinem Anliegen stieß er bei seinen Kollegen teils auf heftigen Widerstand. An italienischen Häfen trafen derweil Hunderte weitere Migranten ein.
40'000 Flüchtlinge in zwei Jahren verteilen
In diesem Jahr wurden bereits mehr als 114.000 Flüchtlinge mit Ziel Europa aus dem Mittelmeer gerettet, wie aus Daten der Internationalen Organisation für Migration hervorgeht. Rund 2600 von ihnen bezahlten die gefährliche Bootsüberfahrt mit ihrem Leben oder werden vermisst. Die meisten Neuankömmlinge landen in den Mittelmeeranrainerstaaten Italien und Griechenland, die sich vom Ansturm überfordert fühlen.
Brüssel will die EU-Mitgliedsstaaten nun darauf verpflichten, 40.000 schutzbedürftige Flüchtlinge aus Syrien und Eritrea in den kommenden zwei Jahren nach einem festen Schlüssel untereinander zu verteilen. Als Aufnahmekriterien sollen Bevölkerungszahl, Wirtschaftskraft, Arbeitslosenrate und bisheriges Flüchtlingsengagement der jeweiligen Länder herangezogen werden.
«Nicht verdient, Europa genannt zu werden»
Doch rund zwölf der 28 EU-Länder sperren sich gegen eine von Brüssel diktierte Quote. Andere signalisierten zwar Unterstützung für den Plan, pochen aber auf eine Überprüfung der Methode. Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite etwa zeigte sich für eine Teilnahme an dem Programm offen, «doch nur auf freiwilliger Basis».
Renzi zeigte sich entrüstet über die ablehnende Haltung. «Wenn ihr euch nicht auf 40.000 Flüchtlinge einigen könnt, habt ihr es nicht verdient, Europa genannt zu werden», zitierte ihn ein anwesender EU-Diplomat am frühen Freitagmorgen. «Wenn das eure Idee von Europa ist, könnt ihr sie behalten. Entweder es gibt Solidarität oder ihr solltet eure Zeit nicht verschwenden», erklärte Renzi demnach weiter.
Ungarn umschließt sich mit einem Zaun
Zuvor hatte EU-Ratspräsident Donald Tusk ein Vorgehen gegen Migranten gefordert, die in erster Linie ihre wirtschaftliche Lage verbessern wollten und Anforderungen für internationalen Schutz nicht genügten. Anders liege der Fall jedoch bei jenen, die vor Krieg und Verfolgung flüchteten. «Wir müssen die illegale Migration eindämmen und das muss unsere Priorität sein», mahnte Tusk.
Ungarn hingegen plant den Bau eines Grenzzauns, um aus Serbien kommende Flüchtlinge abzuhalten. «Es gibt nur eine Lösung jeder muss seine eigenen Grenzen verteidigen», erklärte Ministerpräsident Viktor Orban vor Reportern. «In den nächsten Jahren werden sich Millionen auf den Weg machen, wenn sie das Gefühl haben, dass sie eine Chance haben, reinzukommen.»
«Einige ganz schön dehydriert»
Während sich die Staats- und Regierungschefs in Brüssel beharkten, erreichten weitere Flüchtlinge Italien. Das schwedische Marineschiff «Poseidon» brachte 497 Migranten nach Catania auf Sizilien, nachdem sie vor der Südküste der Insel gerettet worden waren. Zudem bargen die Einsatzkräfte die Leiche einer älteren Frau.
Die Flüchtlinge seien «zehn oder zwölf Tage» auf hoher See gewesen und hätten weder Lebensmittel noch Wasser gehabt, sagte der Kapitän der «Poseidon», Claes Jacobsson. «Einige von ihnen waren ganz schön dehydriert.» Viele der Flüchtlinge stammten nach Behördenangaben aus Syrien, Eritrea, Äthiopien und dem Sudan.
(L'essentiel/hae/sda)