anlaufstelle für Bedürftige«Ohne die 'Stëmm' wäre ich aufgeschmissen»
LUXEMBURG - Immer mehr bedürftige Menschen suchen die Suppenküche der «Stëmm vun der Strooss» in Hollerich auf – die Einrichtung braucht dringend einen weiteren Standort.

Die Tafel für Bedürftige in Luxemburg-Hollerich ist jeden Mittag brechend voll.
Die Gaststube in Luxemburg-Hollerich ist zur Mittagszeit bis auf den letzten Platz gefüllt. Rund 200 Menschen kommen jeden Tag hierher, um eine warme Mahlzeit zu sich zu nehmen und sich von der Kälte aufzuwärmen – es handelt sich um das Sozialrestaurant der Hilfsvereinigung «Stëmm vun der Strooss», das bald aus allen Nähten platzt.
«Wir haben mit einem derartigen Andrang nicht gerechnet», sagt Alexandra Oxacelay, Direktionsverantwortliche der «Stëmm». 2013 wurden in Hollerich rund 27.000 Essensportionen an Bedürftige ausgegeben, 2015 waren es bereits über 45.000 – ein Anstieg von 68 Prozent. Die Belastungsgrenze der erst 2013 eröffneten Einrichtung in Hollerich ist damit erreicht. Ein Grund dafür ist die Nähe zum Brennpunkt Bahnhofsviertel – aber auch die alarmierende Entwicklung, dass immer mehr Menschen in Luxemburg in die Armut rutschen.
Prostituierte erzählt: «Manchmal gehe ich durch Hölle»
Die 25-jährige Caroline* hängt mittendrin in der Armutsfalle. Sie ist seit zwei Jahren Stammgast in der Tafel in der Rue de la Fonderie. Nachts muss die schmächtige Frau in einem verlassenen Keller schlafen – bei zweistelligen Minustemperaturen. Ein Zuhause hat sie schon länger keines mehr. Der Kontakt zu ihren Eltern und auch zu ihren zwei Kindern ist nach einem heftigen Streit abgebrochen. Um an Geld zu kommen, geht die junge Obdachlose auf den Strich. «Es gibt Tage, da gehe ich durch die Hölle», erzählt sie. «Ohne die Hilfe der ‹Stëmm› wäre ich wahrscheinlich aufgeschmissen. Hier im Sozialrestaurant kann ich für ein paar Stunden runterkommen, für wenig Geld essen, duschen und mit anderen Leuten plaudern.»
Doch um den wachsenden Zulauf an Bedürftigen zu bewältigen, wäre ein weiterer Standort für eine Suppenküche in der Hauptstadt nötig. Die Suche nach einem geeigneten Gebäude gestaltet sich allerdings äußerst schwierig. Wichtige Hilfe für die «Stëmm» kommt jetzt aber von dem Verein «Laache fir ze héelen», der als neuer Partner mit einer Spende von 11.000 Euro unter die Arme greift.
Jeder fünfte Gast ist Luxemburger
Das Publikum in der Rue de la Fonderie Nummer 7 ist übrigens bunt gemischt: 86 Nationalitäten sitzen hier in einem Jahr an einem Tisch, überwiegend ledige Männer. Erschreckend: Jeder fünfte Gast im Sozialrestaurant ist Luxemburger, darunter viele junge Leute unter 25. Hinzu kommen Portugiesen und gestrandete Zuwanderer aus Rumänien, die sich ein besseres Leben in Luxemburg erhofft hatten. «Dieser Traum geht aber leider in den wenigsten Fällen in Erfüllung», stellt Marcel Detaille, Präsident der Sozialeinrichtung, fest.
Träume hat auch Caroline noch – trotz des schwierigen Lebens im Bahnhofsviertel. «Es wird immer schlimmer. Die Drogendealer und auch die Konsumenten verlieren immer mehr den Kopf», sagt Caroline und erzählt, dass sie bereits mehrfach zusammengeschlagen wurde.
Anspruch auf Zuschüsse wie dem garantierten Mindesteinkommen (RMG) hat die junge Frau nicht – ihr fehlen ein fester Wohnsitz und die notwendigen Papiere. Caroline versucht trotzdem nach vorn zu blicken. «Viele Leute fragen mich, wie ich das bis jetzt ausgehalten habe» sagt sie. Ein Teil der Antwort lautet: Kokain. Der andere: Eiserner Wille. «Ich bin hart im Nehmen. Ich muss den Kopf hochhalten. Dann klappt das irgendwie schon.»
* Name von der Redaktion geändert
(Jörg Tschürtz/L'essentiel)