Debatte der VizesPence gab den besseren Präsidenten als Trump
Mike Pence wehrte die Angriffe von Tim Kaine ab, indem er nicht auf sie einging. Wird sein «running mate» Donald Trump davon profitieren?

Im Vorfeld wurde die Debatte der TV-Kandidaten für das Amt des US-Vizepräsidenten als die womöglich wichtigste der amerikanischen Geschichte dargestellt. Das ist hoch gegriffen. Doch die vom Fernsehsender CBS ausgestrahlte Debatte am Dienstag Abend lieferte viel Feuerwerk – und überraschende Ergebnisse.
1. Der Sieger nach Punkten: Mike Pence
Der konservative Gouverneur von Indiana gewann die Debatte ziemlich eindeutig vor Senator Tim Kaine aus Virginia. In einer von Frank Luntz auf CBS organisierten Live-Fokusgruppe erklärten 21 Teilnehmer Pence zum Sieger und nur vier Kaine. Zwei Gruppenmitglieder sahen weder den einen noch den anderen als Gewinner. Auf Twitter und Facebook beschäftigten sich beinahe zwei Drittel der Kommentare mit Pence – auch ein Zeichen für einen Sieg. Den gleichen Eindruck vermittelten die Mienen der Debattenteilnehmer: Kaine verzog sein Gesicht, und es schien ihm weniger wohl zu sein als Pence, der oft amüsiert lächelte und immer wieder in die Kamera blickte, um Aussagen zu unterstreichen.
2. Pence ist das Gegenteil von Trump
Der weißhaarige Gouverneur mag gewisse Vorstellungen von amerikanischer Stärke mit dem Blondschopf Trump teilen. Doch in der Debatte ging er praktisch nie auf die Angriffe Tim Kaines auf Trump ein. Der Clinton-Partner unterbrach Pence viel häufiger als umgekehrt und forderte ihn ständig auf, beleidigende oder stoßende Aussagen von Trump zu verteidigen. Doch Pence ließ sich davon nicht in die Irre führen. Stattdessen drehte er den Spiess um und stach auf Clinton ein. Damit schaffte er, was seinem Seniorpartner in der ersten TV-Debatte nicht gelang. Der dünnhäutige und politisch unerfahrene Trump ging auf alle Provokationen Hillary Clintons ein. Die Defensivstrategie schadete ihm, und er verpasste Chancen zum Gegenangriff.
3. Kaine tat seine Pflicht ohne Rücksicht auf sich selbst
Während Pence in der Debatte den vernünftig klingenden Partner des erratischen Trump gab, schlüpfte Kaine in die Rolle des Angreifers. Er nutzte jede Gelegenheit, Pence mit den kontroversen Aussagen Trumps zu konfrontieren. Am Fernsehen wirkte Kaine deshalb unvorteilhaft; mancher Zuschauer mag sich über die ständigen Unterbrechungen durch Kaine geärgert haben. Doch dem war das offensichtlich einerlei: Ihm war wichtig, dass er die «Best-of-Trump»-Hitliste zum Nachteil des Republikaners platzieren konnte. So gesehen, erfüllte er die ihm zugedachte Rolle.
4. Wer wirkte überzeugender als möglicher Präsident?
Donald Trump wäre beim Amtsantritt der älteste Präsident der US-Geschichte, und Hillary Clinton wäre nach nach Ronald Reagan die zweitälteste Amtsinhaberin. Daher ist die Frage berechtigt, wie gut die Vize-Kandidaten in die Rolle der Präsidenten passen würden. Hier fiel, was der Eindruck am Fernsehen betraf, Kaine gegenüber Pence ab. Die Statur des Demokraten litt unter seiner Angriffigkeit. Der Republikaner dagegen wirkte in seiner gemessenen, kontrollierten Art präsidentieller als Kaine und als Hillary Clinton. Von Donald Trump ganz zu schweigen.
5. Welche Wirkung wirs die Debatte entfalten?
Im Trump-Camp wird man über die Performance von Pence jubeln. Doch die historische Erfahrung zeigt, dass Vizepräsidenten und deren TV-Debatten den Verlauf des Wahlkampfs nur am Rand zu beeinflussen vermögen. Im aktuellen Fall ist denkbar, dass die verlässliche Art von Pence manchen von Trump verschreckten Konservativen beruhigen kann. Womöglich werden dem Republikaner ein paar zusätzliche Stimmen zufließen. Den größten Nutzen würde Trump indes daraus ziehen, wenn er das Vorbild Pences in den beiden verbleibenden TV-Debatten nachahmen würde. Bisher ist der Republikaner aber nicht durch seine Lernfähigkeit aufgefallen.
Die ganze TV-Debatte der Vizepräsidentschaftskandidaten zum Nachschauen.
(L'essentiel/Video: Youtube/CBS News)