Natascha Kampusch – «Plötzlicher Verlust der Freiheit ist mir bekannt»

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Natascha Kampusch«Plötzlicher Verlust der Freiheit ist mir bekannt»

Vor fünfzehn Jahren gelang Natascha Kampusch die Flucht vor ihrem Entführer. In einem Interview spricht die 33-Jährige über ihr Leben.

Sie war zehn Jahre alt, als sie in Wien von Wolfgang Priklopil entführt wurde. Nach acht Jahren Gefangenschaft gelang Natascha Kampusch die Flucht. In einem Buch mit dem Titel «3096 Tage» hielt sie das Erlebte fest. Im Interview mit der «Kronen Zeitung» erzählt Kampusch jetzt aus ihrem Alltag, und wieso sie mit üblen Kommentaren konfrontiert war. Sie sei halt kein typisches Opfer, sondern stark und habe eine eigene Meinung. Kampusch scheint interessiert an vielem, besonders an den Menschen um sich herum. So zeigt die junge Frau Talente und Wissen auf allen möglichen Gebieten. Ihre Handtasche und die Kette, die sie zum Interview trug, hat sie selber gefertigt und fragt ihre Interviewpartnerin zum Beispiel, ob sie im Sternzeichen Zwilling sei.

Das Auflehnen nützt nichts

Keine Kontakte zur Außenwelt zu haben, der plötzliche Verlust von Freiheit und die Isolation, das alles sei ihr nur all zu gut bekannt, so ihre Antwort auf die Frage, wie sie die Corona-Pandemie empfinde. Darum könne sie jetzt viel besser damit umgehen als andere und sie verstehe die Verzweiflung der Menschen. Das Auflehnen nütze aber leider nichts.

Das Haus, ihr «Gefängnis», gehört ihr

Sie gehe immer noch wöchentlich zur Therapie, wenn sie etwas sehr belaste. Einmal im Monat fährt Kampusch noch zu dem Haus, in dem sie acht Jahre gefangen gehalten wurde. Ein Teil des Hauses wurde ihr als Entschädigung zugesprochen, den anderen Teil kaufte sie Priklopils Mutter ab. Das Verlies, in dem sie wohnte, wurde 2011 auf Anordnung der Gemeinde, mit Beton zugeschüttet. Die Erinnerung an die Zeit verschwand dadurch nicht. «Es ist ein fremder und zugleich vertrauter Ort», erzählt Kampusch und erklärt weiter: «Ich will nicht, dass irgendjemand etwas Komisches damit tut.» Was sie mit dem Haus machen werde, wisse sie noch nicht. Wenn sie dort ist lüftet sie und geht mit einem Putzkübel durch.

Dick oder dünn scheint den Menschen extrem wichtig

Ihr eigenes Leben jetzt bezeichnet Kampusch als «bunt». Sie lebe in einer kleinen hellen Wohnung, habe einen Balkon und mache den Haushalt selbst. Normalerweise reise sie sehr viel, das sei aber derzeit nicht möglich. Sie habe viele Ideen und eigene Projekte, mit denen sie ihr Geld verdiene. Dem Staat auf der Tasche liegen, wolle sie nicht. Spendengelder habe sie immer weitergegeben, an Menschen, die es dringender gebraucht hätten.

In ihrem Buch erzählt Kampusch von einer Szene in Berlin, wo sie auf offener Straße als «Walross» betitelt wurde – eine Äußerung über ihr Gewicht. Es sei erstaunlich, wie wichtig dick oder dünn für die Menschen ist. Sie selbst habe Nahrungsentzug während ihrer Gefangenschaft als Machtmittel erlebt und wog gerade mal 38 Kilo. Nach ihrer Flucht war Essen Freiheit und Trost. Mit dem Übergewicht, das sie jetzt habe, merke sie erst, wie egal es eigentlich sei. «Man kann sich ja trotzdem nett anziehen.»

(L'essentiel/Angela Rosser)

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