Gewalt in ÄgyptenRadikal-Islamisten rufen zur Bewaffnung auf
Für den heutigen Freitag haben die Muslimbrüder in Ägypten zu einem «Tag der Wut» aufgerufen. Über Twitter raten Islamisten den Demonstranten, sich zu bewaffnen.

Ägypten im Ausnahmezustand: Bei landesweiten Unruhen und blutigen Straßenschlachten zwischen Sicherheitskräften und Islamisten sind am Mittwoch mindestens 278 Menschen getötet worden, darunter 43 Polizisten. Mindestens 2001 Zivilisten wurden verletzt, wie das Innen- und das Gesundheitsministerium in Kairo bekannt gaben. Die meisten Opfer gab es, als die Polizei gewaltsam zwei große Protestlager der Anhänger des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi räumte.
Präsident Adli Mansur verhängte angesichts der Gewalteskalation einen einmonatigen Ausnahmezustand und ordnete an, dass das Militär die Polizei unterstützen soll. Die Regierung erließ zudem ein nächtliches Ausgehverbot für Kairo und zehn Provinzen. Betroffen sind vor allem Hochburgen der Islamisten im Süden, darunter Bani Suef, Assiut und Minia.
El Baradei wirft das Handtuch
Aus Protest gegen die gewaltsame Räumung der beiden Lager, die am frühen Abend abgeschlossen war, trat Vizepräsident Mohamed El Baradei zurück. Er wolle nicht «für einen einzigen Tropfen Blut» mitverantwortlich sein, schrieb der Friedensnobelpreisträger in seinem Rücktrittsgesuch an Mansur, dass der Nachrichtenagentur AP in Kairo vorlag.
In den Lagern hatten seit rund sechs Wochen Zehntausende Anhänger Mursis, die meisten von ihnen Muslimbrüder, gegen dessen Absetzung durch das Militär am 3. Juli demonstriert. Mursis Entmachtung waren in dem bevölkerungsreichsten arabischen Staat landesweite Demonstrationen mit Millionen Teilnehmern vorangegangen. Der demokratisch gewählten Regierung Mursis wurde Vetternwirtschaft und Unfähigkeit vorgehalten.
«Willkürliches Abschlachten»
Kurz nach 07.00 Uhr am Mittwoch rückten gepanzerte Polizeiwagen und Räumfahrzeuge gegen die Camps in den Stadtteilen Nasr City und Gizeh vor. Das kleinere Lager in Gizeh war bis mittags geräumt, beim größeren dauerte es deutlich länger. Die Armee war nicht direkt beteiligt.
Die Muslimbruderschaft sprach anschließend von mehr als 500 Toten und 9000 Verletzten und prangerte ein «willkürliches Abschlachten» unschuldiger Männer, Frauen und Kinder an. Diese Zahlen konnten jedoch zunächst nicht von unabhängiger Seite bestätigt werden.
Das Innenministerium versicherte, die Polizisten hätten von sich aus keine scharfe Munition eingesetzt, sondern Tränengas und Gummigeschosse. Doch seien sie aus den Camps heraus beschossen worden. Für diesen Fall hatte die Polizei eine «entschlossene» Antwort angekündigt, also einen möglichen Schusswaffengebrauch.
Scharfe Reaktionen aus dem Ausland
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon verurteilte das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte «aufs Schärfste», wie sein Sprecher Eduardo del Buey in New York sagte. Er forderte alle Konfliktparteien auf, auf eine nationale Versöhnung hinzuarbeiten.
Auch das Weiße Haus in Washington reagierte besorgt. Außenminister John Kerry sagte in Washington, die Übergangsregierung und auch die Muslimbrüder müssten nun einen Schritt zurücktreten und zur Befriedung der Lage beitragen. «Der Weg der Gewalt führt nur zu noch größerem Leid, Instabilität und wirtschaftlichem Schaden.» Er kritisierte insbesondere die Entscheidung, den Ausnahmezustand zu verhängen.
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sagte, nun sinke die Hoffnung auf eine Rückkehr zur Demokratie.
(L'essentiel Online/sda)