Sam Tanson«Klimapolitik ist die größte Herausforderung meiner Generation»
LUXEMBURG – Justiz- und Kulturministerin Sam Tanson ist Spitzenkandidatin der Grünen. Sie hat mit «L'essentiel» über Umweltziele ihrer Partei gesprochen und eine Bilanz der vergangenen fünf Jahre gezogen.
- von
- Séverine Goffin ,
- Jérôme Wiss

Sam Tanson, aktuelle Ministerin für Justiz und Kultur ist Spitzenkandidat für Déi Gréng.
Sehen Sie sich als Premierministerin?
Wenn man in einen Wettstreit einsteigt, will man ihn natürlich gewinnen. Also ja.
Mit wem würden Sie wahrscheinlich regieren?
Für uns ist es wichtig, dass wir einen oder mehrere Koalitionspartner haben, mit denen wir unser Programm umsetzen können. Wir wollen einen ökologischen Wandel, der für uns alle von Nutzen ist.
Was wäre ein gutes Ergebnis für Déi Gréng?
Wenn man sich unsere Geschichte ansieht, hatten wir vor 2013 sieben Mandate. 2013 nur noch sechs und 2018 erreichten wir wieder neun. Das war ein sehr starkes Ergebnis. Unser erklärtes Ziel ist, das zu halten.
Was ist der wichtigste Punkt im Programm der Grünen?
Man kann da nicht von einer bestimmten Maßnahme sprechen, es ist ein Gesamtpaket. Die größte Herausforderung für meine Generation ist, unsere umweltpolitischen Ambitionen aufrechtzuerhalten und Klimaneutralität zu erreichen. Das wird uns nicht durch eine einzelne Maßnahme gelingen. Wir müssen unser Land in den Bereichen Mobilität und Energie weiter modernisieren und die Unternehmen weiterhin beim ökologischen Wandel begleiten.
Alle Parteien schreiben Umweltthemen in ihr Programm. Hat es noch eine Bedeutung, «grün» zu sein?
Andere Parteien haben auch Merkmale in ihrem Namen, nach deren Mehrwert werden sie nie gefragt. Inhaltlich waren es die Grünen, die die Klima- und Umweltambitionen in die luxemburgische Regierung eingebracht haben. Wir haben uns ehrgeizige Ziele gesetzt und setzen sie um. Ich sehe auch, dass alle gerne über Umweltschutz sprechen wollen, ich finde das beruhigend. Aber es gibt so viele Nuancen. Viele Parteien sagen, dass vor der Klimakrise erst einmal andere Probleme gelöst werden müssen. Wir sind der Meinung, dass alle aktuellen Probleme und Herausforderungen parallel gelöst werden müssen.
«Wir brauchen Bäume.»
Die Klimakrise hat längst angefangen. Ist noch Zeit, sie zu stoppen, oder müssen wir die Gesellschaften bereits darauf vorbereiten, den Schaden zu minimieren?
Ich bin davon überzeugt, dass es für die Lösung der Klimakrise noch nicht zu spät ist. Aber wie wir diesen Sommer wieder gesehen haben, sind die Veränderungen bereits da: steigende Temperaturen, verheerende Waldbrände, Dürre und sintflutartige Regenfälle. Wir müssen daher an zwei Fronten operieren. Einerseits müssen wir einen Temperaturanstieg verhindern, andererseits müssen wir uns an die bereits reale Veränderung anpassen.
Wie passt man sich an?
Am Beispiel der Landwirtschaft: über die Produkte, die in dem einem Land besser angebaut werden können als einem anderen. Im Weinbau gibt es bereits Veränderung bei dem, was angebaut wird. Man sieht auch, wie wichtig es ist, die Städte zu begrünen. In Luxemburg wird das noch nicht genug getan. Eine Grünfläche in einem Wohnzentrum kann die Umgebungstemperatur um zehn Grad senken. Dass die Stadtzentren angenehm zu bewohnen bleiben, ist wichtig, und dafür brauchen wir Bäume.
Wäre es nicht an der Zeit, wirklich verbindliche Maßnahmen für Unternehmen und große Konzerne zu ergreifen?
Es ist wichtig, die notwendigen Anreize zu schaffen, die funktionieren. Nicht nur für Unternehmen. Wir haben mehrere Bereiche identifiziert, die einen Einfluss auf unseren ökologischen Fußabdruck haben. Da ist zum einen die Mobilität, wo sich in den letzten zehn Jahren ein echter Wandel vollzogen hat, mit hohen Investitionen in die Eisenbahn, die Straßenbahn und die kostenlose Nutzung. Zweitens das Wohnen und die von Privatpersonen genutzte Energie. Es werden immer mehr Wärmepumpen und Sonnenkollektoren installiert. Und wir begleiten mit positiven und hohen Beihilfen diesen Umstieg bei den Privatpersonen.
In der Industrie investieren die Unternehmen in den Wandel, die auch bezüglich ihrer Wettbewerbsfähigkeit davon profitieren. Die Förderungen, Mechanismen und die Investitionen für den Wandel innerhalb der Unternehmen müssen noch weiter ausgebaut werden. Wir brauchen einen «Green New Deal» in Luxemburg.
Ministerium für Wohnungsbau
In Luxemburg gibt es nur drei Prozent erschwingliche Wohnungen. Sam Tanson sieht hier Fortschritte des Ministeriums für Wohnungsbau unter Minister Henri Kox. «2018 haben wir die Verantwortung übernommen und dieses Ministerium angenommen, für das keiner unserer Partner einen Antrag gestellt hatte. Und das Ergebnis ist da, auch wenn es sich noch nicht bei den Preisen bemerkbar macht. Wenn man bedenkt, dass zwischen der Planung eines Bauvorhabens und seiner Umsetzung zehn Jahre vergehen können, ist das normal. Aber die Weichen sind gestellt», meint Sam Tanson. «In den vergangenen fünf Jahren hat Henri Kox die Investitionen fast verzehnfacht, die es dem Staat und den Gemeinden ermöglichen, Wohnraum zu schaffen, der zu erschwinglichen Preisen vermietet oder in Erbpacht verkauft werden soll.»
Darüber hinaus habe der amtierende Wohnungsbauminister «Großprojekte im Wert von über einer Milliarde Euro verabschiedet, von denen einige bereits im Bau sind. Es wurden Gesetze verabschiedet und andere eingebracht, darunter die Besteuerung leer stehender Wohnungen oder die Steuer zur Bereitstellung von Grundstücken. Die individuellen Hilfen wurden verstärkt», so die Spitzenkandidatin.
«Die Situation im Bahnhofsviertel ist schon sehr lange kompliziert.»
Die Kriminalität hat zugenommen, es gibt viele Berichte über Probleme am Bahnhof... Wie kann die Situation verbessert werden? Haben die Grünen in diesem Punkt ihre Mandate nicht erfüllt?
Es ist ein kompliziertes Ministerium, aber Henri Kox und vor ihm François Bausch haben nicht gezögert, diese Verantwortung zu übernehmen. Sie haben es zu einem vollwertigen Ministerium gemacht. Es gab eine echte Einstellungsoffensive für Polizisten und Zivilbeschäftigte. Seit 2020 wurden 600 Polizisten eingestellt. Bis sie im Einsatz sind, dauert dann etwas. Henri Kox hat sich wirklich dafür eingesetzt, der Polizei mehr Mittel zur Verfügung zu stellen und ihre Sichtbarkeit zu erhöhen. Es ist wichtig, dass die Bürger diese Präsenz sehen und sich sicherer fühlen.
Die Situation im Bahnhofsviertel ist schon sehr lange kompliziert. Ein Faktor hat sich in den letzten Jahren verschärft: die Ausweitung von Einrichtungen, die Drogensüchtige und Obdachlose anziehen. Das Abrigado war ein großartiges, wegweisendes Projekt, aber es ist einfach zu groß. Eine Lösung wäre, diese Einrichtungen zu dezentralisieren und auf mehrere Stadtteile mit kleineren Strukturen zu verteilen.
Können Sie die Sorgen der Menschen verstehen?
Ja, ich verstehe sie. Deshalb muss man auf mehreren Ebenen ansetzen: Prävention, Dezentralisierung und Stadtplanung und Sauberkeit auf Stadtebene. Und natürlich muss die Repression greifen. Das tut sie auch, aber die Sichtbarkeit der Polizisten muss noch verstärkt werden, was mit der Einstellungswelle von Henri Kox passiert.
Im Bereich des Strafrechts landen immer noch Minderjährige in Schrassig, und in Dreiborn werden schwerwiegende Probleme festgestellt. Warum ist das so?
Es ist seit Jahren dringend notwendig, eine gute Betreuung für Minderjährige anzubieten, unabhängig davon, ob sie Opfer einer Straftat oder Täter sind. Wir haben uns sehr stark auf Gesetzestexte konzentriert, die das Verbot der Inhaftierung von Minderjährigen in einer Strafanstalt für Erwachsene enthalten. Leider konnte das Gesetz aufgrund der Arbeitsüberlastung im Staatsrat nicht mehr während dieser Mandatsperiode verabschiedet werden. Das Justizministerium hat keinen Einfluss auf die Entscheidungen von Richtern über die Unterbringung dieser Jugendlichen.
Was Dreiborn und seine geschlossene Abteilung (Unisec) betrifft – sie muss überarbeitet werden. Sie ist zu klein für ein Gefängnis, aber auch nicht für Jugendliche in Schwierigkeiten gedacht, die keine Straftaten begangen haben, beispielsweise junge Ausreißer. Es gibt nur zwölf Plätze und sobald ein Mädchen kommt, wird eine ganze Etage blockiert.
«Es ist menschlich gar nicht möglich, sich den ganzen Tag lang zu verstellen.»

Im Gegensatz zu anderen Politikern wirken Sie eher zurückhaltend? Ist das Ihre Persönlichkeit oder eine bewusste Entscheidung?
Es ist menschlich gar nicht möglich, sich den ganzen Tag lang zu verstellen. Ich bin, wer ich bin. Vielleicht wirke ich auf den ersten Blick etwas zurückhaltend, aber ich liebe es, mit Menschen zu diskutieren. Ich achte nur darauf, ihnen nicht persönlich zu nahe zu treten.
Was gehört Ihrer Ansicht nach die positiven Aspekte der Grünen-Bilanz in der vergangenen Legislaturperiode?
Bezüglich der Mobilität hat sich ein echter Wandel vollzogen. Heute kann man sich die Hauptstadt ohne Straßenbahn nicht mehr vorstellen. Wir haben uns mit erneuerbaren Energien befasst und die Produktion vervierfacht. Die Biodiversität wird stärker geschützt, wobei insbesondere 83 Prozent unserer Wasserquellen endlich unter Schutz gestellt wurden. Wie bei der Polizei wurden auch bei der Justiz Neueinstellungen vorgenommen. Im Kulturbereich mussten die Künstler unterstützt werden, damit die Szene auch nach der Pandemie lebendig bleibt. Außerdem haben wir die Investitionen in die Verteidigung massiv erhöht, und ich würde sagen, dass sich Luxemburg mit den Hilfen für die Ukraine auf internationaler Ebene positioniert hat.