Anspannen, Zielen, SchussSchwarze Frauen gehen in den Schießstand
Waffenbesitz zur Selbstverteidigung ist kein Recht, das nur Weißen zusteht: Das ist die Botschaft einer Schwarzen-Vereinigung in den USA.

In einem Klassenzimmer über einer Schießanlage sitzen mehrere afroamerikanische Frauen. Sie sei nicht sicher, ob sie jemals jemanden töten könnte, selbst zum eigenen Schutz, sagt eine von ihnen. Könnte sie nicht einfach auf die Beine zielen? Ihre Lehrerin antwortet, dass es bei der Selbstverteidigung nicht darum gehe, jemanden zu töten, sondern darum, eine Bedrohung zu beseitigen.
Lehrerin Marchelle Tigner ist auf einer Mission: Sie will dabei helfen, mindestens einer Million Frauen in den USA das Schießen beizubringen. Sie selber war nicht mit Waffen in Berührung gekommen, bevor sie in die Nationalgarde eintrat. Jetzt, als Überlebende häuslicher und sexueller Gewalt, will sie anderen schwarzen Frauen eine Ausbildung anbieten, die sie selber nicht hatte, als sie angegriffen wurde.
«Wir müssen lernen, uns zu verteidigen»
«Es ist wichtig, vor allem für schwarze Frauen, das Schießen zu lernen», sagt Tigner mit Hinweis darauf, dass die Wahrscheinlichkeit häuslicher Gewaltanwendung gegen Schwarze höher ist als bei anderen Frauen. «Wir müssen lernen, uns selbst zu verteidigen.»
Es ist schwer, schlüssige Statistiken zu finden, aber in einer aktuellen Studie des Forschungsinstituts Pew identifizierten sich nur 16 Prozent «nicht weißer Frauen» als Waffenbesitzerinnen – im Vergleich zu 25 Prozent weißer Frauen. Andere Pew-Studien in den vergangenen Jahren deuten aber auf eine wachsende Akzeptanz von Waffen unter Afroamerikanern hin. 2012 bewerteten noch weniger als ein Drittel schwarzer Haushalte einen Waffenbesitz als positiv. Drei Jahre später war die Rate auf 59 Prozent gestiegen. In Texas waren schwarze Frauen zwischen 2000 und 2016 gar Spitzenreiter bei Anträgen auf eine Genehmigung zum verdeckten Tragen von Waffen.
2012 entstand die National African American Gun Association. Philip Smith gründete sie mit der Botschaft, dass Waffenbesitz kein für Weiße reserviertes Recht sei. Heute gehören der Vereinigung landesweit 20.000 Afroamerikaner an. Und zu seiner Überraschung waren es nicht mehrheitlich Männer, die sich anschlossen, sondern Frauen – die meisten von ihnen, weil sie allein lebten oder alleinerziehende Mütter waren.
«Es ist cool, Rassist zu sein»
Smith zufolge ist auch die aktuelle Politik ein Grund dafür, warum mehr Schwarze an Waffen interessiert seien. «Egal, auf welcher Seite du stehst: Es gibt in der Gesellschaft derzeit einen Unterton, eine Spannung. Gruppen, die du vor 20 Jahren an den Rändern sahst, sind jetzt in der Öffentlichkeit», sagt er. «Mir scheint, dass es sehr cool ist, ein Rassist zu sein, es ist in Mode.»
In Lawrenceville am Rande von Atlanta kamen unlängst 20 Frauen zum Waffenunterricht zusammen. Zuerst zeigt Tigner den Frauen, wie man ein Magazin lädt, und dann hat jede die Gelegenheit, das selbst auszuprobieren – was manchen mit ihren langen Fingernägeln nicht leicht fällt. Dann feuern die Frauen mit einer halbautomatischen Neunmillimeter-Glock 19 auf Ziele in viereinhalb Metern Entfernung. «Der schlechte Kerl ist tot, er steht nicht wieder auf», sagt Tigner einer Schülerin, die ihr Ziel durchlöchert hat.
Jonava Johnson hat lange Zeit gezögert, sich eine Waffe zuzulegen, obwohl ihr Freund vor ihren Augen erschossen wurde, als sie 17 war, und Jahre später ein Mann ihre Tochter zu Hause sexuell angriff. Aber jetzt hat sie ihre Meinung geändert. «Ich hoffe, dass ich nie jemanden töten muss», sagt sie. «Aber wenn es um mein Leben oder das meiner Kinder geht, sind die Angreifer erledigt.»
(L'essentiel/G. Chwallek/dapd)