DJ und Autoritätsfigur – So kommuniziert ein Bundesliga-Schiedsrichter

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DJ und AutoritätsfigurSo kommuniziert ein Bundesliga-Schiedsrichter

Eine TV-Dokumentation beeindruckt mit O-Ton vom Platz und einem Blick über die Schulter von Spitzen-Referee Deniz Aytekin.

Da hilft auch Yoga nichts mehr. 41 Jahre alt ist der Mann, eben hat er noch im Hotelzimmer gedehnt, mit erstaunlicher Beweglichkeit, jetzt zieht Timo Werner an, 23 Jahre jung, einer der schnellsten Stürmer der Bundesliga, und es wird schwer für ihn, mitzuhalten.

Deniz Aytekin ist einer der besten deutschen Schiedsrichter. Seit Jahren ist er Fifa-Referee, hat auf höchster Stufe schon dutzende bedeutender Spiele geleitet, etwa die legendäre, überaus hektische «Remontada», das 6:1 von Barcelona im Achtelfinale der Champions League nach einem 0:4 im Hinspiel bei PSG. Von einem Filmteam der ARD hat sich der Deutsche seit Ende der Rückrunde ein paar Wochen begleiten lassen, entstanden ist ein seltener Einblick in die Zusammenarbeit der Schiedsrichter, die Hektik auf dem Feld und die steigenden Ansprüche durch das sich ständig verändernde Regelwerk.

«Was willst du von mir?»

Da steht er also, im Bundesliga-Spiel Ende Oktober zwischen Leipzig und Wolfsburg, und muss jetzt diesem Werner hinterher. «Der nimmt mir ja auf 100 Metern 70 ab», sagt er später schmunzelnd und beweist, wie viel man mit gutem Positionsspiel wett machen kann.

Die Filmemacher haben Aytekin und seine Assistenten zusätzlich verkabelt. Und so hört man, wie Aytekin bei Werner nach dessen Tor rasch nachfragt – «warst du mit der Hand dran?» – wie er dazu mit dem Videoraum in Köln spricht, wie seine Assistenten ihn mit Infos versorgen, daneben stets zwei, drei Spieler auf ihn einreden. «Was willst du von mir?», herrscht er einmal Wout Weghorst an, als der ihm zum wiederholten Mal zu nahe kommt. Der Ton ist rau, Aytekins Autorität aber unbestritten.

Schnitt. Aytekin steht am DJ-Pult, hat Kopfhörer am Ohr. Zum Abschalten dreht er gerne mal auf, das Plattenlegen ist zu einem Hobby geworden. Einmal ist er sogar vor Publikum aufgetreten, an einem mittelgroßen Festival in Deutschland. «Aber wichtig ist mir das nicht», sagt er, «wichtig ist nur, dass ich dabei mal an nichts denken kann.»

Denn die Ansprüche in seinem Beruf steigen. Immer schneller wird der Fußball, immer unübersichtlicher. Im Trainingslager der deutschen Spitzenschiedsrichter in der Winterpause erklärt der DFB-Schiedsrichterlehrwart Lutz Wagner einmal, dass sich immer mehr Spieler in immer kleineren Kreisen des Feldes aufhalten würden. Die Hilfsmittel werden zwar besser, der Video Assistant Referee (VAR) ist in Deutschland in der dritten Saison, es gibt Freistoßspray und Funkverbindung unter dem Schiedsrichter-Trio, es gibt Abseitslinien und Torlinientechnologie.

Fingerspitzengefühl trotz neuer Linie

«Guckt man sich die Zahlen an, macht der VAR den Fußball fairer», sagt Aytekin, im Hauptberuf Unternehmer. «Und er gibt uns Sicherheit im Auftreten.» Die ist nicht immer ganz einfach zu bewahren. Rückrunde, Auftaktspiel in Gelsenkirchen, Schalke gegen Gladbach, eine Stunde bis zum Anpfiff. Borussia-Sportdirektor Max Eberl ist zu Besuch in der Schiedsrichter-Kabine. «Bitte zieht das durch», sagt er, «wir, die Spieler, alle übertreiben es bisweilen.»

Er meint die neue Linie, wonach die Schiedsrichter in der Bundesliga bei Unsportlichkeiten wie Ballwegschlagen künftig sofort Gelb zeigen sollen. Gerade hat sie wieder für Aufruhr gesorgt, als Gladbachs Stürmer Alhassane Pléa mit zwei schnellen Gelben Karten vom Feld musste. Aytekin selber löst das im Spiel souverän. Schalkes Benito Raman leistet sich einen Aussetzer, Aytekin knöpft ihn sich vor. «Komm mal mit. Pass auf, das machst du nicht mehr, sonst muss ich dir Gelb machen, ok?» Raman nickt artig, sagt kein Wort.

Ja, er habe seit je her Buntstifte dabei, gibt Aytekin später lachend zu. Einmal in der Bezirksliga hat der heutige Spitzen-Referee einen Spieler zweimal verwarnt, heute malt er vor jedem Spiel die beiden Teamfarben hinten auf die Karten, damit das nicht mehr passiert.

Es wird ein ruppiges Spiel auf Schalke, sieben Mal Gelb zeigt Aytekin, dessen Schnitt in einer Partie ansonsten bei 3,8 Gelben liegt. Am Ende ist der Schalker Sieg ein Thema, die unerklärlicher Schwäche von Gladbach – nicht aber der Schiedsrichter. Aytekin ist zufrieden. «Erfolg bei uns wird halt anders definiert. Erfolg ist, wenn wir in der Sportschau mit keinem Wort erwähnt werden.»

Die ARD-Kurzdokumentation zum Nachschauen gibt es hier.

(L'essentiel/mrm)

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