Sicherheitsexperte – «Terroristen lassen sich am Strand kaum stoppen»

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Sicherheitsexperte«Terroristen lassen sich am Strand kaum stoppen»

IS-Anhänger planen angeblich Anschläge auf europäische Touristenstrände. Terrorismus-Experte Yan St-Pierre sagt, diese Gefahr müsse man ernst nehmen.

Herr St-Pierre, der IS soll Terroranschläge auf Strände in Italien, Frankreich und Spanien planen. Wie hoch ist das Risiko, dass tatsächlich so etwas passiert?
Strände sind klassische weiche Ziele. Die Anhänger des IS sind bereit, überall dort zuzuschlagen, wo sich große Menschenmassen versammeln und sie möglichst viele europäische Bürger töten können. Dass sie in der Sommerferienzeit Strände ins Visier nehmen, an denen Europäer sich erholen, liegt eigentlich auf der Hand. In Tunesien und an der Elfenbeinküste haben Terroristen in der jüngsten Vergangenheit schon an Stränden zugeschlagen. Das könnte IS-Anhänger dazu ermutigen, Ähnliches zu wiederholen.

Wie lassen sich solche Anschläge verhindern?
Das ist ganz, ganz schwierig. Strände sind offen für alle. Verhindern kann man solche Attentate eigentlich nur, wenn man die Pläne vorher aufdeckt und die Beteiligten festnehmen kann, bevor sie zur Tat schreiten. Wenn bereits ein Bewaffneter am Strand rumläuft, ist er kaum mehr zu stoppen. Das ist wie bei einem Amokläufer: Wenn er einmal losgezogen ist, ist es in der Regel zu spät. Ich glaube aber, dass die europäischen Sicherheitsbehörden eine gute präventive Arbeit leisten: Sonst hätten sie nicht von diesen Plänen Wind bekommen, und es hätte nicht bereits eine Verhaftung gegeben.

Die Täter sollen sich angeblich als fliegende Händler tarnen. Müsste man diese schärfer kontrollieren?
Das bringt wohl wenig. Man darf sich nicht auf ein bestimmtes Bild festlegen, denn Terroristen sind flexibel, das ist ihre große Stärke. Sie können ihr Vorgehen und Auftreten laufend ändern und anpassen.

Laut Bild stecken hinter den Plänen für Strand-Anschläge in Europa senegalesische Anhänger der mit dem IS verbundenen nigerianischen Terrororganisation Boko Haram. Ist das plausibel?
Mir wäre nicht bekannt, dass Boko Haram je einen Anschlag auf europäischem Boden verübt hätte. Doch Senegal hat tatsächlich eine wachsende islamistische Szene, und zu dieser gehören auch Boko-Haram-Anhänger.

Was wäre aus Sicht der Terroristen symbolträchtiger: Anschläge auf beliebte Touristenstrände oder weitere Attentate in europäischen Großstädten?
Ich glaube, das macht für sie keinen Unterschied. Ihr Ziel ist, die Europäer ihre Verletzlichkeit spüren zu lassen. Sie schlagen dort zu, wo es für sie am einfachsten und am effizientesten ist. Das kann an einem Strand sein oder auch ganz woanders. Hinzu kommt, dass es auch einsame Wölfe gibt: Sie töten im Namen des IS, ohne einen Auftrag erhalten zu haben.

Sollte man wegen der Gefahr von Anschlägen in diesem Sommer auf Ferien am Meer verzichten?
Nein. Niemand sollte wegen der Terrorgefahr seine Lebensweise ändern. Sonst zeigt er genau jene Reaktion, die die Terroristen erzwingen wollen.

(L'essentiel)

Yan St-Pierre ist Terrorismus-Experte und Geschäftsführer des Sicherheitsberatungs-Unternehmens Modern Security Consulting Group Mosecon in Berlin.

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