Oldie but goldieTschussowitina sagt immer noch nicht Tschüss
Oxana Tschussowitina (40) schreibt Turngeschichte: Die Usbekin hat sich zum siebten Mal für Olympische Spiele qualifiziert. Sie startete auch schon für Deutschland.

Tschussowitina – diese Name ist auch hierzulande einigermaßen geläufig, seit zuerst Ariella Kaeslin und später Giulia Steingruber regelmäßig in die Medaillenränge an Kunstturn-Europameisterschaften sprangen. Will man dorthin, dann ist der Tschussowitina Pflicht: Der gestreckte Salto mit anderthalb Schrauben gehört zu den Höchstschwierigkeiten im Frauenturnen.
Doch Tschussowitina ist nicht nur ein Sprung. Tschussowitina ist eine Legende. Oxana Tschussowitina, die Erfinderin und Namensgeberin dieses den physikalischen Gesetzen trotzenden Sprunges, bereitet sich auf ihre siebten Olympischen Spiele vor. Am Sonntag schaffte sie am Testevent in Rio die Qualifikation für die Mehrkampf-Entscheidung.
Sohn kämpfte mit Leukämie
Mit 41 Jahren wird sie in Rio de Janeiro die älteste Athletin sein, die jemals an Olympischen Spielen turnte. Und die erste, die das zum siebten Mal tut. 1992 in Barcelona gewann die Usbekin mit den GUS-Staaten Olympisches Mannschaftsgold. 2008 errang sie mit 33 Jahren im Sprung Silber für Deutschland (sie besitzt auch den deutschen Pass). Dazu kommen elf Medaillen an Weltmeisterschaften, sieben an Asien-Spielen sowie je vier an Europa- und Asienmeisterschaften. Ein Erfolgsrezept habe sie nicht, sagt Tschussowitina über sich: «Ich kann nur immer wieder sagen: Das Turnen muss dir Spaß machen, das muss von Herzen kommen. Sonst bringt das nichts.»
Mit 40 Jahren könnte die Usbekin die Mutter ihrer Konkurrentinnen sein, von denen viele die Volljährigkeit noch nicht erreicht haben. Mutter ist sie tatsächlich: Tschussowitina hat einen 17-jährigen Sohn, der einen großen Einfluss auf ihre Karriere hatte. Im Jahr 2002 war der damals dreijährige Alisher an Leukämie erkrankt, eine Behandlung war unerschwinglich. Der Kontakt zu Turnfreunden in Köln brachte schließlich Hilfe. Der Junge wurde in der Uniklinik erfolgreich behandelt und ist heute gesund.
Athletin aus rostfreiem Stahl
Oxana Tschussowitina blieb in Köln wohnhaft und nahm 2006 die deutsche Staatsbürgerschaft an. Bis 2013 turnte sie für Deutschland, nach Rio de Janeiro reist sie jetzt wieder als Usbekin. «Nach den Olympischen Spielen 2016 möchte ich meine Karriere beenden, und das möchte ich im Trikot meines Heimatlandes tun», erklärte sie in einem Interview mit der Kölnischen Rundschau. Fachleute trauen ihr in ihrer Paradedisziplin Sprung den VorStoß in den Finale der besten acht durchaus zu.
Als Athletin aus rostfreiem Stahl bezeichnete sie die Frankfurter Allgemeine. Wenn sie ihre 1,53 Meter Körpergröße und ihre 44 Kilogramm Gewicht am Pferd durch die Luft wirbelt, sieht sie aus wie eine jener Teenager-Turnerinnen, gegen die sie heute antritt. Vor allem, seit sie ihre braunen Haare wieder länger trägt und zu einem Pferdeschwanz bindet.
Ein Blick in ihr ungeschminktes Gesicht zeigt ein anderes Bild – eines ohne Weichzeichner. Ihre Gesichtszüge sind streng, fast hart. Um die Augen zeichnen sich feine Fältchen ab. Eine Mutterfigur möchte sie für ihre jungen Konkurrentinnen nicht sein. Einmal noch will sie es mit ihnen aufnehmen. Aber nach Rio soll dann Schluss sein. Diesmal definitiv.
(L'essentiel/sco)