AfghanistanUN berichten über schwere Menschenrechtsverletzungen
Massenhinrichtungen, große Risiken für Frauen und Gefahren für Journalisten: UN-Hochkommissarin Bachelet zeichnet ein düsteres Bild nach Machtübernahme der Taliban.

Kurz vor dem Krisentreffen der G7-Staaten zur Lage in Afghanistan gibt es Berichte über schwerste Menschenrechtsverletzungen nach der Machtübernahme der Taliban. Darunter seien Massenhinrichtungen von Zivilisten und Angehörigen regierungstreuer Sicherheitskräfte, sagte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, am Dienstag in Genf. Bei der Evakuierungsmission blieb weiter offen, ob die Rettungsflüge auch nach Monatsende fortgesetzt werden, mit denen derzeit täglich Tausende Menschen vor den Islamisten aus Kabul fliehen.
Bachelet sprach bei einer Sondersitzung des UN-Menschenrechtsrats in Genf zur Lage in Afghanistan von «gravierenden Risiken für Frauen, Journalisten und die neue Generation von Leitfiguren der Zivilgesellschaft». Der Bewegungsspielraum von Frauen sei in manchen Regionen nach Machtübernahme der militant-islamistischen Aufständischen eingeschränkt worden, Mädchen dürften teils nicht mehr zur Schule gehen. Friedliche Proteste würden unterdrückt und Minderjährige zum Waffendienst geholt. Die Berichte seien glaubhaft, betonte Bachelet.
Mitarbeiter der Vereinten Nationen sowie von UN-Hilfsorganisationen wollen die Taliban offenbar im Land behalten. «Sie haben klar gemacht, dass die UN bleiben sollen», sagte Richard Brennan, Regionaldirektor für Nothilfe bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO), in Kairo. «Es gab einige ermutigende Zeichen und Gespräche.» Über den Verbleib der UN-Mitarbeiter liefen derzeit Verhandlungen zwischen Taliban und UN.
Virtuelles G7-Treffen
Die Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten wollten an diesem Dienstagnachmittag bei einer Videokonferenz über das weitere Vorgehen und Hilfen für die Bevölkerung beraten. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte vorab eine deutliche Erhöhung der humanitären Hilfe an. In diesem Jahr sollen aus dem EU-Haushalt mehr als 200 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Das ist rund vier Mal so viel Geld wie ursprünglich geplant.
Beim virtuellen G7-Treffen dürfte es auch um die Evakuierungsmission gehen. Die Zeit drängt, weil alle ausländischen Truppen das Land bis kommenden Dienstag (31. August) eigentlich verlassen haben sollen. Die Taliban, die nun fast alle Landesteile sowie Kabul kontrollieren, wollen eine Verlängerung der Mission nicht akzeptieren.
Der Direktor des US-Auslandsgeheimdienstes CIA, William Burns, traf einem Medienbericht zufolge den Vizechef der Taliban, Mullah Abdul Ghani Baradar, zu einem persönlichen Gespräch am Montag in Kabul, wie die «Washington Post» unter Berufung auf Regierungskreise schrieb. Baradar wird als möglicher künftiger Regierungschef gehandelt.
US-Militär stellt 5800 Soldaten für Einsatz
Eine Entscheidung der USA sei wohl nach am Dienstag zu erwarten, sagte Bundesaußenminister Heiko Maas im TV-Sender Bild. Entscheidend sei bei der schwierigen Abwägung, ob die Sicherheit der Truppen vor Ort und des Luftverkehrs weiter gewährleistet werden könne. Maas sagte, es gebe auch Überlegungen für einen weiteren zivilen Betrieb des Airports. Das US-Militär hat für den Einsatz derzeit rund 5800 Soldaten am Flughafen in Kabul.
Großbritanniens Premierminister Boris Johnson will den Gipfel nutzen, um sich bei US-Präsident Joe Biden für eine Verlängerung der Frist stark zu machen. Johnsons Verteidigungsminister Ben Wallace hält eine Verlängerung dagegen für unwahrscheinlich. Die Niederlande sprachen sich für eine Verlängerung aus. Frankreich will seinen Einsatz schon am Donnerstag beenden, wenn die USA sich wie angekündigt am 31. August aus dem Land zurückziehen. In Frankreich stehen aktuell fünf Afghanen, die nach Frankreich ausgeflogen wurden, wegen mutmaßlicher Nähe zu den Taliban unter Beobachtung der Sicherheitsbehörden.
Die Evakuierungsmission gewann unterdessen an Tempo. Die USA flogen bei dem Einsatz erstmals innerhalb von 24 Stunden mehr als 12.000 Menschen aus Kabul aus. Weiter teilte das Weiße Haus mit, im gleichen Zeitraum hätten außerdem 57 Maschinen internationaler Partner rund 8900 Menschen evakuiert.
(L'essentiel/DPA/lea)