Gamescom 2015Und plötzlich ist der Wal zum Greifen nah
Wir konnten die Virtual-Reality-Brille HTC Vive überstülpen. Eindrücklicher lassen sich virtuelle Räume kaum vorführen.

Völlig unerwartet ist der riesige Blauwal da – in realer Größe. Er schwimmt auf mich zu, so nah, dass ich ihn berühren könnte. Ich trete ehrfürchtig einen Schritt zurück vor diesem mächtigen Tier, schaue nach hinten und sehe die Überreste eines gesunkenen Schiffs. Dazwischen schwimmen Fische, alles wirkt fast echt und lebendig. Ich befinde mich unter Wasser. Als ich mich wieder dem Wal zuwende, ist er noch näher – ich schaue direkt in sein riesiges, freundliches Auge – lebensecht und atemberaubend.
«Noch fünf Sekunden, dann kommt die nächste Demo», erklingt eine Stimme und holt mich zurück in die Realität. Diese besteht aus einem dunklen, mit Filz ausgekleideten Raum, etwa drei auf drei Meter. An zwei gegenüberliegenden Ecken an der Decke leuchten hell grüne Punkte. «Das sind die Lasertracker», sagt Stefan Werner von HTC, der durch die Demo führt. Es brauche mindestens einen Lasertracker, um die Bewegungen der Virtual-Brille HTC Vive und der zwei Controller, mit denen die Applikationen gesteuert werden, zu erkennen. Brille und Tracker sind mit kleinen Reflektoren ausgestattet. Je mehr Lasertracker, desto genauer erfolgt die Abtastung. «Der Raum darf maximal viereinhalb auf viereinhalb Meter sein», sagt Werner, eine untere Grenze gebe es nicht.
Ekelerregend echt
Ich stehe mitten im Vorführraum, die noch etwas klobige Brille und ein akustisches Headset auf dem Kopf und zwei Zauberstäben gleichende Controller in den Händen. Als ich mich nach vorne bewege, erscheinen plötzlich horizontal leuchtende Linien. Sie warnen vor der realen Wand. Auf den Zentimeter genau erkennen die Lasertracker, wo ich mich befinde und was ich mit Kopf und Händen tue.
So zum Beispiel in einer Demonstration namens «Tiltbrush» – dreidimensionalem Malen. Der eine Controller dient als Pinsel, der andere als Farbkasten. Ich zeichne in den Raum und kann um das im Raum stehende Bild herumgehen und aus einer anderen Perspektive weiterzeichnen. Zuletzt werde ich in eine Demo namens «Secret Shop» transferiert – eine comicartige Welt aus dem Multiplayergame «DOTA 2». Plötzlich krabbelt eine riesige Spinne auf mich zu. Mir bleibt fast das Herz stehen, als das ekelerregende Ding immer näher kommt – obwohl ich weiß, dass es sich nur um eine digitale Darstellung handelt.
Viel Rechenleistung nötig
«Die HTC Vive kann 90 Bilder pro Sekunde in 2K-Qualität darstellen», erklärt Nadine Deisenroth, Marketingchefin von HTC Deutschland. Deshalb wirken die dreidimensionalen Welten so überwältigend. Wegen der geringen Verzögerung zwischen Bewegung des Kopfs und Bewegung des Bilds konnte auch die Gefahr der Übelkeit reduziert werden, die manche in der Virtual Reality befällt. «Es hilft, dass sich Benutzer im Raum bewegen», ergänzt sie. Doch es brauche einen Hochleistungsrechner mit extrem starker Grafikkarte, um den Grad an Detailreichtum darstellen zu können.
Entstanden ist die HTC Vive aus einer Kooperation zwischen dem Handy-Hersteller HTC und dem Spielentwickler Valve . Entsprechend gehören Gamer zur ersten Zielgruppe, die man ansprechen will. Ende 2015 soll die HTC Vive auf den Markt kommen, ein Preis ist noch nicht bekannt. Zu den späteren Zielgruppen gehören die Bildung, Möbelhäuser und Mediziner, sagt Deisenroth. «Die Leute sind geflasht», schließt sie.
So auch ich: Die HTC Vive bietet die bisher eindrücklichste VR-Erfahrung. Am liebsten würde ich noch einmal in die faszinierenden Welten eintauchen. Aber dieses Mal möchte ich den Wal berühren. Und vielleicht sogar die Spinne.(L'essentiel)
(L'essentiel/Jan Graber)