Brennpunkt Bahnhofsviertel – «Unsere Straße ist ein rechtsfreier Raum»

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Brennpunkt Bahnhofsviertel«Unsere Straße ist ein rechtsfreier Raum»

LUXEMBURG - Seit Monaten breitet sich die Drogenszene in der Rue de Strasbourg aus. Anwohner sammeln Unterschriften und rufen die Politik auf den Plan.

Seit 18 Monaten wohnt Clara* in der Rue de Strasbourg. Seitdem hat sie zwei Drogenabhängige in ihrer Tiefgarage beim Spritzen erwischt, ein anderer berauschte sich neben ihrem Briefkasten im Eingangsbereich des Hauses. Auf der Straße hat sie Spritzen gefunden. «Ich kannte das Bahnhofsviertel, denn vorher habe ich zwei Straßen weiter gewohnt. Aber dass es so schlimm sein würde, hätte ich nicht gedacht», meint Clara.

Ihre dreijährige Tochter schickt Clara nicht in der Rue de Strasbourg zur Schule; ihre Wohnung würde sie gern verkaufen. «Ich habe das Gefühl, jeder sieht die Probleme, aber keiner tut etwas. Ich sehe viele Polizisten, aber sie tun nichts», so ihr Vorwurf.

Bürgerinitiative sammelt Unterschriften

Drogendealer stehen vor Bars herum, Abhängige lungern in Hauseingängen - die Drogenproblematik hat das Bahnhofsviertel wieder fest im Griff. Seit August organisiert die Bürgerinitiative «Collectif Rue de Strasbourg» eine Online-Petition. Mehr als 400 Unterzeichnende – das entspricht einem Drittel der 1220 gemeldeten Anwohner der Straße und einem Bruchteil der mehr als 9‘000 Bewohner des Bahnhofsviertels - unterstützen die Forderung nach «Mehr Polizei, mehr Kontrollen, mehr Aktion, um unsere Straße zurückzubekommen».

«Unser Ziel ist vor allem eine Rückkehr zu normalen Lebensumständen», erklärt ein Mitinitiator im Interview, der sich «M.» nennt. Das Collectif Rue de Strasbourg ist auch auf Facebook aktiv. Auf dem Profil liefern Anwohner Fotos von Drogenabhängigen als Beweis für die sich verschlechternde Lebensqualität in ihrem Viertel. «M.» nennt seine Straße einen «rechtsfreien Raum».

«Nachweislich ein großes Problem mit der Drogenszene»

Diesem Eindruck widerspricht Polizeisprecher Vic Reuter mit Zahlen: Zwischen Juli und Anfang September haben Polizei und Zoll demnach 19 Personen aus dem Drogenmilieu in der Rue de Strasbourg verhaftet. Sieben kassierten zudem einen Strafzettel. Zum Vergleich: Auf dem Gebiet der Stadt Luxemburg sind in der Zeit zwischen Januar und September 48 Personen wegen Drogendelikten verhaftet worden. Diese Zahlen scheinen den Trends der letzten Jahre zu widersprechen: Laut Drogenbericht nimmt die Zahl der Süchtigen und der Drogentoten kontinuierlich ab, laut Polizeistatistik sank die Zahl der Drogendelikte in der Rue de Strasbourg bis 2012.

«Es gibt nachweislich ein großes Problem mit der Drogenszene, das sich seit einigen Monaten verstärkt. Wir sind quasi andauernd vor Ort. Aber sobald wir jemanden verhaften, steht am nächsten Tag ein Neuer am selben Fleck», berichtet Reuter. Die Polizisten haben es mit «relativ organisierten» Strukturen zu tun, die oft aus dem Ausland operieren. Viele der Dealer sind laut der Ermittlungen Schwarz- und Nordafrikaner, «die meisten von ihnen haben gültige Papiere oder sind EU-Bürger», so Reuter.

Rechtliche Mittel fehlen

Der Polizeisprecher zählt weitere Aktivitäten sämtlicher Polizeieinheiten von der Hundestaffel über Zivilstreifen bis zur Kriminalpolizei auf. Polizisten sind es auch, die Kontrollen in einschlägigen Bars im Viertel durchführen, die mutmaßlich Dealer beherbergen. «Wir erstellen dann Berichte und leiten diese an die zuständigen Behörden bei Justiz und Ministerien weiter», erläutert Reuter.

Bürgermeister Xavier Bettel (DP) steht ebenso im Feuer der Kritik wie die Polizei. Bettel erklärt, dass ihm die Hände gebunden seien. Ihm fehle die gesetzliche Möglichkeit Ordnungskräfte einzusetzen. Zudem sei es unmöglich, Platzverweise auszusprechen, wie dies zum Beispiel in deutschen Städten üblich ist. Und die Präventionsarbeit? Während sich die Polizei im Umgang mit Drogenabhängigen laut ihrem Sprecher immer mehr «in den Beruf des Sozialarbeiters gedrängt fühlt», wollen die Sozialarbeiter im Viertel auf Anfrage wegen der herrschenden Polemik vorerst keine Stellung nehmen.

Klassische Musik zur Abschreckung?

An Ideen im Kampf gegen die Drogenkriminalität mangelt es nicht. Die Anwohner fordern den Einsatz von Überwachungskameras und verstärkte Polizeipräsenz rund um das Kulturzentrum in der Rue de Strasbourg. Der Bürgermeister schließt auch ungewöhnliche Maßnahmen nicht aus: So könnte eine Caféterrasse den Platz vor dem Kulturzentrum einnehmen, auf dem derzeit Betrunkene und Junkies herumhängen. Andere erwähnen die abschreckende Wirkung klassischer Musik auf Herumlungernde.

Alle diese Vorschläge kommen am Donnerstagabend bei einer Info-Veranstaltung im Kulturzentrum auf den Tisch (siehe Infokasten). Bürger, Polizei, Justiz und Vertreter der Stadt Luxemburg treffen dort zusammen. «Dieses Treffen zeigt, dass unser Hilfeschrei gehört wurde. Wir können nur hoffen, dass nun Taten und konkrete Maßnahmen folgen», meint «M.» von der Bürgerinitiative «Collectif Rue de Strasbourg».

* Name von der Redaktion geändert

(Sarah Brock mit Jean-Michel Hennebert/L'essentiel Online)

Am Donnerstagabend findet eine Informationsveranstaltung für Anwohner der Rue de Strasbourg statt. Bürger, Polizei und Vertreter der Stadt Luxemburg treffen sich um 18.30 Uhr im Kulturzentrum, 29, rue de Strasbourg.

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