Boy Scouts – US-Pfadfinder im Pädophilen-Skandal

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Boy ScoutsUS-Pfadfinder im Pädophilen-Skandal

Die amerikanischen Boy Scouts haben 100 Jahre lang Material über Kindesmisshandler in den eigenen Reihen gesammelt. Und nichts unternommen.

Was die von den Boy Scouts «Perversen-Akten» genannten Dokumente enthüllen, ist nur ein Ausschnitt der Wahrheit, denn die amerikanische Pfadfinder-Organisation hatte seit 1910 alles gesammelt, was irgendwie mit Kindsmissbrauch in ihren Reihen zu tun hatte: Briefe von Opfern, Rechtfertigungen von Tätern, Memos von Pfadfinder-Offiziellen, Ergebnisse von internen Untersuchungen – oder von polizeilichen, die im Sande verliefen, weil der gute Ruf der Boy Scouts wichtiger war als Gerechtigkeit für die Opfer.

Die 14 500 Dokumente, die jetzt veröffentlicht wurden, mussten den Boy Scouts richtiggehend entrissen werden: Erst ein Verdikt zugunsten eines Opfers im Bundesstaat Oregon im Jahr 2010 führte zum Urteil des höchsten Gerichts im Bundesstaat, wonach die Dokumente veröffentlicht werden müssen. Sie waren Teil des Verfahrens vor zwei Jahren, die Boy Scouts kämpften mit allen legalen Mitteln gegen eine Veröffentlichung.

Das Bestreben, Missbrauch unter dem Deckel zu halten, führte zu unzähligen Fällen, in denen selbst geständige Täter unbehelligt blieben, weil lokale Gesetzeshüter oder Honoratioren, die der Pfadfinder-Bewegung verbunden waren, die Organisation nicht in ein schiefes Licht rücken wollten.

Volles Geständnis, volle Immunität

In den veröffentlichten Dokumenten ist beispielsweise der Fall eines Pfadfinderführers, der drei Brüder in Louisiana missbraucht hatte. Die Mutter der drei erzählte dem Sheriff davon, der Verdächtige wurde vernommen und gab alles zu – zehn Tage später schrieb der lokale Pfadfinder-Verantwortliche der Scouts-Zentrale in New Jersey: «Der Scoutmaster wurde nicht angezeigt, um den Ruf der Pfadfinder zu schützen.»

In rund einem Drittel der bekannt gewordenen oder angenommenen Fälle von Missbrauch – in den Dokumenten finden sich auch Anschuldigungen ohne weiterführende Indizien oder Beweise – erfuhr die Polizei nichts davon.

Für die Gefühle der Opfer war in diesem Geheimhaltungsdrang kein Platz, mehr Verständnis konnten die Täter erwarten, schreibt die Nachrichtenagentur AP, die die Dokumente schon Wochen vorab erhalten und studiert hat. «In den Dokumenten finden sich zahlreiche Verweise auf Täter, die zum Psychiater oder zum Pfarrer geschickt wurden, um Hilfe zu finden.»

Pfadfinder wollte Missbrauch verhindern

Dass die Boy Scouts all das Material überhaupt sammelten und jahrzehntelang sorgsam aufbewahrten, geschah allerdings aus durchaus edlen Motiven: Die Verantwortlichen wollten verhindern, dass sich Pädophile bei den Boy Scouts quasi bedienen konnten. In vielen Fällen waren sie damit erfolgreich. Doch mit der Weigerung, Missbrauch konsequent anzuzeigen, ermöglichten sie Tätern, die nicht Scout Masters werden konnten, anderswo in verantwortlicher Stellung mit Kindern tätig zu werden.

Wie Kelly Clark, Staatsanwalt von Portland, an einer Medienkonferenz zur Veröffentlichung der Dokumente am Donnerstag sagte: «Man behält Informationen über Gefahren für Kinder nicht geheim.»

(L'essentiel Online/Bea Emmenegger)

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