South CarolinaWas, wenn niemand diesen Mord gefilmt hätte?
Der von einem Video überführte weiße Killer-Polizist in South Carolina wird des Mordes angeklagt. Aber wie oft bleiben Tötungen von Schwarzen ungesühnt?

Nach dem schrecklichen Tötungsfall in der Stadt North Charleston gehen die Emotionen hoch. In einem extremen Beispiel von Polizeibrutalität hat ein weißer Cop am Samstag den unbewaffneten Schwarzen Walter Scott mit acht Schüssen von hinten niedergestreckt. Der 33-jährige Polizist Michael Slager ist des Mordes angeklagt worden – aber nur, weil das von einem Passanten aufgenommene Handy-Video die Wahrheit zeigt, die der Cop vertuschen wollte.
In North Charleston gab es Proteste. Die befürchteten Ausschreitungen blieben jedoch aus. Vor dem Rathaus der Stadt in South Carolina und am Tatort versammelten sich nach Angaben lokaler Medien zahlreiche Bürger, um gegen die ungerechte Behandlung von Afroamerikanern zu protestieren.
Die Familie des getöteten 50-Jährigen war am Mittwochmorgen in tiefer Trauer. Das Video sei «das Schrecklichste gewesen, was ich je gesehen habe», sagte die Mutter Judy Scott zu ABC News. «Ich bin sehr, sehr wütend. Ich konnte es fast nicht anschauen. Zu sehen, wie mein Sohn wegrennt, schutzlos, und erschossen wird – es hat mein Herz in Stücke gerissen.»
Mit Alimenten im Rückstand
Die Mutter beschrieb ihren Sohn als einen friedlichen Menschen, der in der Kirche aufwuchs und sie auch als Erwachsener «Mommy» nannte. Laut der Washington Post hatte er sich vor neun Monaten einen Job in einer Frachtfirma geangelt. Vor kurzem habe er seiner Freundin einen Heiratsantrag gemacht und einen gebrauchten Mercedes gekauft.
Wegen eines defekten Rücklichts wurde Walter Scott am Samstag angehalten. Sein Bruder Anthony vermutet, dass Scott dem Polizisten davonrennen wollte, weil er mit Alimenten für seine vier Kinder im Rückstand war. «Er schuldete Unterstützungsgeld und wollte deswegen nicht in den Knast», sagte der Bruder laut der New York Times.
Darstellung des Polizisten widerlegt
Wie am Dienstagabend bekanntgegeben wurde, versuchte Polizist Slager zuerst, Scott mit seiner Elektroschock-Waffe bewegungsunfähig zu machen. Es soll zu einem Handgemenge gekommen sein. Slager gab an, danach habe Scott zur Taser-Waffe gegriffen. Da habe er sich bedroht gefühlt und Schüsse seien gefallen.
Das Video des Passanten erzählt aber eine ganz andere Geschichte: Es zeigt klar, wie Scott wegzurennen beginnt, Slager seine Schusswaffe zückt und acht Schüsse auf ihn abgibt. Der Kurzfilm zeigt den Vorgang so klar, dass der Polizist nun hinter Gittern sitzt.
Wie hätte die Polizei ohne Video gehandelt?
Die rasche Anklage gegen Slager hat bei Schwarzenvertretern verhaltene Befriedigung ausgelöst. So etwas habe es seines Wissens in South Carolina noch nie gegeben, sagte Reverend Joseph Darby von der Schwarzenorganisation NAACP zur Post. Eine wichtige Frage stellte jedoch Chris Stewart, der Anwalt der Familie Scott: «Wäre die Angelegenheit vom Polizeidepartement fallen gelassen worden, wenn wir das Video nicht veröffentlicht hätten?»
Er verweist damit auf die vielen Fälle von Polizeieinsätzen, bei denen Schwarze getötet werden, ohne dass gegen die daran beteiligten Cops Anklage erhoben wird. Kritiker glauben, dass Polizisten vielfach nur deshalb ungeschoren davonkommen, weil es kein Video oder keine Zeugen des Tathergangs gibt. Dann bleibt die Darstellung der Polizisten unangefochten.
Heikle Verallgemeinerungen
Verallgemeinerungen sind jedoch heikel, das zeigen die bekannten Fälle des letzten Jahres. Von der Tötung Michael Browns in Ferguson, Missouri, am 9. August gibt es kein Video. Dennoch belegen Beweismittel ziemlich eindeutig, dass der weiße Polizist Darren Wilson den Schwarzen Brown aus Notwehr erschoss. Im Fall von Eric Garner, der am 17. Juli im New Yorker Stadtteil Staten Island im Würgegriff eines Polizisten starb, existiert ein Video. Dennoch blieben die Todesumstände für die Anklagekammer so unklar, dass sie den Cop Daniel Pantaleo unbehelligt liess.
So lange die Polizeibrutalität andauert, wird auch der Protest dagegen nicht nachlassen. In North Charleston demonstrierten am Mittwoch aufgebrachte Bürgerinnen und Bürger gegen den Rassismus und die Polizeipraktiken in South Carolina. Gegen den Polizisten ermittelt jetzt auch die Bundespolizei FBI. Slager droht eine lange Freiheitsstrafe und theoretisch sogar der Tod.
Unterdessen wurde ein weiteres Video veröffentlicht, das zeigt, wie ein weißer Polizist einen unbewaffneten Schwarzen erschießt.
(L'essentiel/sut)