Rätsel gelöst – Was wollen Chinesen im verschlafenen Kidlington?

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Rätsel gelöstWas wollen Chinesen im verschlafenen Kidlington?

Ein britisches Allerwelts-Dorf wird seit Monaten von Busladungen chinesischer Touristen heimgesucht. Jetzt hat das Rätselraten um die Gründe ein Ende.

In Kidlington ist nichts los. Das britische 13.700-Einwohner-Dorf nahe Oxford ist so gewöhnlich, wie ein Ort nur sein kann – auch wenn es als eines der größten Dörfer Englands gilt. Sieben Pubs, zwei Cafés, vier Restaurants und eine alte Kirche gibt es hier. Eigentlich müsste man Kidlington mit keiner Silbe erwähnen, wären da nicht die chinesischen Touristen.

Ganze Busladungen streifen seit vergangenem Sommer durch die Ortschaft, fotografieren sich gegenseitig vor gewöhnlichen Einfamilienhäusern, schießen Bilder von Mülltonnen, Rosenbüschen und springen laut BBC auf Trampolinen in Vorgärten herum. Manche Anwohner sind amüsiert, andere rufen die Polizei. Und nicht nur die Dorfbewohner, sondern zunehmend auch die britischen Medien fragten sich in den vergangenen Monaten: Was wollen die Chinesen in diesem Kaff?

Fragebögen in Mandarin

Der «Daily Mirror» zählte Kidlington zu den seltsamsten Touristenattraktionen der Welt und stellte den Ort in eine Reihe mit Tschernobyl und einem Toilettenmuseum in Indien. Im Juli fragte die BBC die Bewohner, ob sie sich einen Reim auf die chinesischen Touristenströme machen könnten. Der Sender verteilte sogar ins Mandarin übersetzte Fragebögen, die die Anwohner an Chinesen verteilen sollten. Doch es geschah: nichts.

Verschiedene Erklärungen kursierten: Während einige Bürger mutmaßten, die asiatischen Besucher hielten Kidlington für einen Drehort der «Harry Potter»-Filmreihe, machten andere die schlichte Idylle für den Run auf ihr Dorf verantwortlich. Grüner Rasen, gepflegte Vorgärten, saubere Straßen – so etwas kennen Chinesen eben nicht von zu Hause, so die Annahme.

Seltsam jedoch, dass es die Gäste nicht etwa auf die Kirche aus dem 13. Jahrhundert oder auf die pittoresken, strohgedeckten Hütten abgesehen haben. Lieber flanieren sie durch eintönige Wohngebiete, etwa entlang der Benmead Road.

Churchill hat Schuld

Der eigentliche Grund für den Besuch ist trivial. Es geht schlicht ums Geld, wie die «New York Times» jetzt herausgefunden hat. Gut sechs Kilometer vom Dorfkern entfernt befindet sich nämlich der Blenheim Palace, das Schloss der Familie Churchill, das eine bekannte Ausstellung über Winston Churchill beherbergt. Offenbar ist das Schloss ein absolutes Must-see für Chinesen.

Der Veranstalter der Busreisen verlangt laut «Times» umgerechnet satte 65 Euro für einen Schlossbesuch samt Führung auf Chinesisch. Wer nicht teilnehmen wolle, sei früher einfach am Blenheim Palace abgesetzt worden, berichtete der chinesischer Reiseführer Sun Jianfeng der Zeitung. Viele Chinesen hätten jedoch mitbekommen, dass die Tickets direkt im Schloss nur rund 20 Euro kosten. Hinter dem Rücken der Reisegesellschaft hätten sie sich dann zu Fuß in die Ausstellung geschlichen – sehr zum Verdruss der zahlungswilligeren Mitreisenden.

Deshalb würden die Touristen, die die 65 Euro nicht berappen wollen, seit ein paar Monaten in Kidlington abgesetzt, das nicht direkt in Laufweite des Schlosses liegt. Doch Herr Sun betont auch, dass viele seiner Kunden in China in anonymen Hochhäusern wohnten und für sie die Ruhe und Beschaulichkeit des ländlichen Englands etwas Besonderes sei. Englischer Rasen und Backsteinbauten scheinen für viele Touristen aus Fernost also vielleicht nicht nur aus Kostengründen einen Abstecher wert.

(L'essentiel/mlr)

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