Interview mit Dmitry Lobanov: «Herr Botschafter, ist Luxemburg ein Feind für Russland?»

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Interview mit Dmitry Lobanov«Herr Botschafter, ist Luxemburg ein Feind für Russland?»

LUXEMBURG – Dmitry Lobanov meldet sich nicht oft zu Wort. Gut ein Jahr nach Kriegsbeginn hat der Botschafter im Interview mit L'essentiel die Sicht Russlands dargelegt.

von
Thomas Holzer
Dmitry Lobanov ist seit 2021 Botschafter Russlands in Luxemburg.

Dmitry Lobanov ist seit 2021 Botschafter Russlands in Luxemburg.

Seit mehr als einem Jahr herrscht Krieg in der Ukraine. Am Tag des Einmarschs Russlands in das benachbarte Land bat L'essentiel den russischen Botschafter um ein Interview. Rund zwölf Monate später ist Dmitry Lobanov dem Wunsch nachgekommen. Anfang März – rund zwei Wochen nach dem ersten Jahrestag – fand das Treffen mit dem russischen Diplomaten auf Schloss Beggen statt. «Aus Respekt vor den Ukrainern» und damit das Interview «nicht als Provokation aufgefasst wird», habe er einem Interview erst jetzt zugesagt. Höflich, aber bestimmt und in perfektem Französisch antwortete Dmitry Lobanov auf sämtliche Fragen – ohne dabei von der offiziellen russischen Doktrin abzuweichen.

Haben Sie bei Ihrer Ankunft in Luxemburg vor zwei Jahren mit einer Situation dieser Art gerechnet?

Natürlich nicht, niemand hat das. Auch wenn die weltpolitische Lage schon seit einigen Jahren angespannt ist. Wladimir Putin hatte lange vorher auf die Bedrohung für unser Land hingewiesen, hören wollte es niemand. Die Folge kennen Sie.

Krieg. Ist das Wort noch immer tabu?

Journalisten und Abgeordnete verwenden es zwar, aber unsere offizielle Haltung ist nach wie vor, dass es sich um eine spezielle Militäroperation handelt. Zentral bei unserer Position ist, dass weder Russland der Ukraine den Krieg erklärt hat, noch die Ukraine Russland. Ein Krieg hat immer das Ziel, ein Land zu zerstören und ein Volk zu vernichten. Wie im Fall des amerikanischen Einmarschs in den Irak, wo zwischen 900.000 und 1,2 Millionen Zivilisten getötet wurden. In der Ukraine sind nach Angaben der Vereinten Nationen 9000 Zivilperson gestorben. Das sind immer noch 9000 zu viel, aber diese Zahlen stehen im keinem Verhältnis.

Wir wollen die Ukraine nicht zerstören. Unsere beiden Völker sind verbrüdert – und das ist keine bloße Metapher. Wir sind durch die Geschichte, die Kultur und unseren gemeinsamen Kampf gegen Nazi-Deutschland eng miteinander verbunden. Warum Russland zivile Infrastruktur bombardiert? Weil sie auch für militärische Zwecke genutzt werden.

Halten Sie diese «Operation» persönlich für gerechtfertigt?

Ich würde sie als unumgänglich bezeichnen. Gründe dafür sind in der vergangenen Geschichte zu finden. Die amerikanische Doktrin – die auf eine totale Entmachtung Russlands abzielt – hat Früchte getragen, und auch die Nato brauchte ihre Daseinsberechtigung. Inmitten Europas setzten die Vereinigten Staaten zunächst auf einen kleinen Krieg mit Jugoslawien, aber das reichte offenbar nicht aus. Also benutzen sie für ihre Interessen ein anderes schwaches Glied: die Ukraine.

Klingt, als seien die USA der Todfeind.

Weil sie die Ursache dafür sind, was in der Ukraine passiert. Die Ukraine ist kein unabhängiger Staat, sie wird von den USA gesteuert. Amerika könnte diesen Krieg sehr schnell beenden, indem es die Ukrainer dazu auffordert, die Kampfhandlungen einzustellen und diese uferlosen Waffenlieferungen endlich beendet.

US-Präsident Joe Biden und Wolodymyr Selenskyj in der ukrainischen Hauptstadt.

US-Präsident Joe Biden und Wolodymyr Selenskyj in der ukrainischen Hauptstadt.

AFP

Welche Ziele verfolgt Russland?

Die sind allgemein bekannt. Erstens die Entmilitarisierung der Ukraine, damit dieser Staat Russland nie wieder bedrohen kann, sowie ein Neutralitätsversprechen und die Entnazifizierung der Ukraine. Der Westen weiß nur wenig von den Dingen, die dort vor sich gehen. Es gibt zu viele nationalistische Kräfte in dem Land, die ausgerottet werden müssen.

Kräfte, die es in Russland etwa nicht gibt?

Genau das ist der Punkt: Wir haben uns dem Problem in der Vergangenheit gestellt. Es gab sie in den 90er und 2000er Jahren, aber heute existieren sie praktisch nicht mehr.

Was sagen Sie zu den Vorwürfen, dass Russland Propaganda betreibt?

Propaganda gibt sie auf beiden Seiten. Jeder stellt Fakten auf seine Weise dar. Der Westen lebt in einer Blase der Desinformation. Sie haben keinen Zugang zu unseren Informationen, Russland hat keinen Zugang zu ihren. Pressefreiheit? Die westlichen Journalisten, die die Wahrheit aussprechen, werden nicht in den Medien nicht gehört. Und dann wollen Sie behaupten, Meinungsfreiheit existiere noch?

Und in Russland sind sich alle einer Meinung?

Jein. Am Anfang, als die Leute noch nicht ganz verstanden haben, was da eigentlich vor sich geht, gab es noch Proteste. Aber jetzt, wo die Gefechte schon mehr als ein Jahr andauern, kann ich Ihnen versichern, dass die gesamte Bevölkerung hinter unseren Männern steht.

Leidet die russische Ökonomie unter den Sanktionen?

Sie ist zwar beeinträchtigt, aber nicht in dem Maße, wie es der Westen beabsichtigt. Eine fundierte Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF) sagt uns für das kommende Jahr sogar ein Wirtschaftswachstum von 2,1 Prozent voraus. Angesichts der enormen Sanktionen ein beachtlicher Anstieg. Einige Branchen profitieren sogar von der Situation, beispielsweise die Landwirtschaft. Ich war selbst dort: Restaurants, Museen, Kinos, Geschäfte – alles funktioniert wie vorher.

Da Wahrzeichen Moskaus: Der Rote Platz.

Da Wahrzeichen Moskaus: Der Rote Platz.

AFP

Gar nicht leicht, dort hin zu kommen…

Es gibt keine Direktflüge mehr, sodass man einen Zwischenstopp in Istanbul einlegen muss. Und es ist sehr teuer geworden. Die Türkei verdient gut an den Sanktionen gegen Russland.

Dennoch scheint Russland vom Westen isoliert.

Da liegen Sie falsch. Die Zahl der uns feindselig gesinnten Länder ist klein. Wir haben uns lediglich in Richtung anderer Regionen orientiert, in denen zwei Drittel der Weltbevölkerung leben.

Vieles hat sich verändert. Der Westen meint, dass Russland leidet, aber ich bin davon überzeugt, dass er mehr leidet als wir. Europa hat seine Energiequelle und seinen Wettbewerbsvorteil gegenüber der USA verloren. Politisch hängt die europäische Union in der Nato am Rockzipfel der Amerikaner. Alle sprechen von strategischer Autonomie, doch davon ist nicht mehr viel übrig,.

Ist Luxemburg ein Feind für Russland?

Luxemburg ist Gründungsmitglied der Nato und der EU und beteiligt sich aktiv an den Waffenlieferungen an die Ukraine. Die Russen hegen keinen Hass auf die Ukrainer. Das Verhalten des Westen ist das, was uns empört. Waffen zu liefern, um unsere Soldaten mithilfe der Ukrainer, die den Preis in Form von menschlichen Opfern zahlen, zu töten, ist verabscheuungswürdig.

Im Westen sehen viele Menschen Russland hingegen gar nicht als Feind.

Das gilt für die Luxemburger, ja. Aber es gibt eine regelrechte Welle der Russophobie in Deutschland, Polen und auch in Frankreich. Solange die Demonstration, die auf luxemburgischen Boden stattfinden, friedlich ablaufen, haben wir kein Problem damit. Die Exekutive in Luxemburg hat Maßnahmen ergriffen, um die aufkommende Welle der Feindseligkeit gegenüber Russen hierzulande zu stoppen. Für ihr Verantwortungsbewusstsein bin ich den Politikern hier sehr dankbar.

Auch auf den Straßen des Großherzogtums wurde schon gegen den Krieg in der Ukraine demonstriert.

Auch auf den Straßen des Großherzogtums wurde schon gegen den Krieg in der Ukraine demonstriert.

Editpress

Haben hier lebende Russen Luxemburg den Rücken gekehrt?

Meines Wissens nach nicht. Etwa 2000 Russen leben hier in Luxemburg – deutlich weniger als Ukrainer. Unsere Landsleute, die hier leben, haben den ukrainischen Geflüchteten sehr geholfen.

Wie sehen Russlands Beziehungen zum Großherzogtum aus?

Bei meiner Ankunft in Luxemburg habe ich Herrn Bettel, Herrn Asselborn, Herrn Fayot, Herrn Bausch und andere Minister getroffen. Zum Außenministerium habe ich seitdem gute Kontakte: Wir können unsere Ansichten und Einstellungen problemlos austauschen. Andere Ministerien sind hingegen weniger offen für eine Fortführung der Zusammenarbeit. Auf wirtschaftlicher, handelspolitischer und kultureller Ebene ist die Zusammenarbeit eingefroren. Diese Entscheidung Luxemburgs überrascht mich und ich bedauere sie sehr.

Vor einigen Jahren war die Beziehung unserer beider Länder deutlich weitgehender. Wir hatten viele gemeinsame Projekte, etwa im Bereich der Raumfahrt. Es ist fraglich, ob diese wieder aufgenommen werden können. Auf jeden Fall muss dafür noch viel Zeit vergehen.

Ab welchem Punkt gäbe es kein kein Zurück zur Diplomatie mehr?

Wenn luxemburgische Soldaten an die Front in der Ukraine geschickt würden, wäre das zweifelsfrei der Punkt, an dem es kein Zurück zum ursprünglichen Verhältnis mehr gibt. Solange dieser Fall nicht eintritt, können wir zusammenleben und weiterhin kooperieren.

Viele Menschen in Luxemburg haben angesichts der nuklearen Bedrohung Angst.

Damit haben sie Recht – und ich teile diese Sorge, so wie jeder andere auch. Die größte Atommacht der Welt, Russland, steht einem Land gegenüber, das von anderen Atommächten (USA, Frankreich, Großbritannien) bewaffnet wird. Die Situation kann eskalieren. Deshalb ist es dringend notwendig, diesen Konflikt zu beenden. Der Einsatz von Atomwaffen hängt nicht von Wladimir Putin ab, sondern ist in der russischen Militärdoktrin festgeschrieben. Dort ist der Einsatz von Atomwaffen klar definiert. Ich hoffe, dass wir diesen Punkt nicht erreichen werden.

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Haben Sie direkte Beziehungen zu Wladimir Putin und Sergej Lawrow?

Mit Wladimir Putin natürlich nicht. Was Sergei Lawrow betrifft, habe ich im Ministerium viel mit ihm zusammengearbeitet. Wir telefonieren zwar nicht täglich, aber ich kann ihm durchaus meine Eindrücke schildern. Es gibt Kanäle, über die man mit Moskau Kontakt halten kann.

Was halten Sie vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj?

Ich weiß nicht, ob die Ukrainer ihn genauso verehren wie die Europäer es tun. Er geht in der Rolle des ständig Waffen Fordernden auf, aber das ist eines Politikers nicht würdig. Ich denke, er sollte mehr an seine leidende Bevölkerung denken.

Wie könnte der Konflikt beendet werden?

Die Frage ist kompliziert und einfach zugleich. Eine Niederlage Russlands ist vollkommen utopisch. Gleichzeitig will Russland nicht den völligen Niedergang der Ukraine. Diplomatische Gespräche bleiben das Mittel. Ob Sie es glauben oder nicht, aber in Istanbul standen wir kurz vor einer Einigung. Nur brach Selenskyj – gelenkt von Washington und London – die Gespräche ab. Je mehr Zeit vergeht, desto schwieriger wird es, eine Lösung zu finden.

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