Höhlen-Drama«Wie eine Rettung am Mount Everest»
14 Schweizer Spezialisten sollen die deutschen Retter dabei unterstützen, einen Verletzten aus einer Höhle zu bergen. Sie müssen enorme Strapazen in Kauf nehmen.

Er liegt schwer verletzt in einem Labyrinth in ewiger Dunkelheit: Johann Westhauser (52), ein deutscher Höhlenforscher, ist in der Riesending-Höhle in den Berchtesgadener Alpen gefangen. Er wurde von einem Steinschlag getroffen, wartet nun auf die Retter – aus der Schweiz. Immerhin geht es ihm etwas besser: Der Stuttgarter sei dauerhaft ansprechbar und in der Lage, kurze Zeit zu stehen, wird ein Sprecher der Bergwacht Chiemgau zitiert.
Die Bergwacht Bayern hat die Rettungsorganisation Speleo-Secours Schweiz alarmiert. Diese hat vier Spezialisten losgeschickt, die am Montagabend in die Höhle gestiegen sind. Heute sollen weitere vier Schweizer losgeschickt werden, morgen schließlich weitere sechs Retter, wie Rémy Wenger von Speleo-Secours sagt.
Nur absolute Profis
Westhauser liegt in einer Tiefe von rund 1'000 Metern. Den Weg dorthin schaffen nur absolute Profis. Glitschige Schächte, senkrechte Passagen, Stellen, die laut einem deutschen Höhlenretter nur mit eingezogenem Bauch und angehaltener Luft passiert werden könnten. «Es sind nicht viele, die dafür geeignet sind. Es braucht extrem gute Techniker», sagt Wenger.
Unter den Schweizer Spezialisten kenne man sich, man wisse, wer für welche Einsätze spezialisiert sei. Diese seien angefragt und je nach Verfügbarkeit nach Deutschland geschickt worden. «Man muss sich das so vorstellen wie eine Rettung am Mount Everest. Es braucht jeden Mann, da sich die Rettung über Tage hinziehen kann», sagt Wenger. «Wir sind zur Verstärkung dort, um die Helfer abzulösen.» Einen vergleichbaren Einsatz in der Schweiz habe es 1997 gegeben, als 72 Retter 54 Stunden brauchten, um eine Frau zu bergen.
Unterkühlung droht
Doch die Höhle am Untersberg, die größte Deutschlands, ist eine Schachthöhle von extremen Ausmaßen. Bereits zu Beginn müssen verschiedene Schächte in der Gesamtlänge von über 300 Meter abseilend überwunden werden. Der Weiterweg findet gemäß der Bergwacht Bayern horizontal und wiederholt vertikal durch Abseilen statt, bis in eine Tiefe von über 1000 Metern. In der Höhle herrschen Temperaturen von 1,5 bis 5 Grad. Laut einem Bergwacht-Sprecher droht dem verletzten Forscher Unterkühlung.
Nach Angaben der Bergwacht Bayern soll es ungefähr drei bis fünf Tage dauern, bis das Opfer aus der Höhle geborgen werden kann. Der 52-jährige Stuttgarter soll etappenweise zu den fünf Biwakstationen transportiert werden, die in der Riesending-Schachthöhle auf dem Weg nach oben eingerichtet wurden.
Speleo-Secours Schweiz wird in der Schweiz jährlich zu etwa drei bis sieben Einsätzen gerufen. Seit 1981 wurden 126 Personen geborgen. Davon waren 17 verletzt und 25 tot. Die Sektion verfügt über acht regionale Rettungskolonnen, eine nationale Verstärkungskolonne und Kommunikationsspezialisten, Sprengtechniker, Pumpenexperten, Taucher sowie 15 höhlentaugliche Ärzte.
(L'essentiel/num/sda)